Zwischen gut und geht so: Unser Fach in journalistischen Beiträgen
Klaus Meier, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Das einstündige Interview mit der Journalistin war flankiert durch zehn zum Teil ausführliche Mails – und am Ende habe ich drei Absätze für einen gebauten Beitrag autorisiert. Kurze Zeit später standen im Magazin-Report die autorisierten Passagen fast komplett wörtlich und noch einige Hintergrundinfos aus den Mails und dem Interview. Es fehlte nur die Quelle: Die Autorin schrieb, sie habe alles „aus Gesprächen mit vielen Journalistinnen und Journalisten“ zusammengetragen. Kein Input aus der Kommunikationswissenschaft.
Dieses Beispiel aus dem Frühjahr 2023 ist sicher ein extremer Fall, neben vielfältigen Erfahrungen zur Präsenz unseres Faches in journalistischen Beiträgen. Es gibt viele Gründe, warum im Journalismus mit Expert:innen aus der Journalismusforschung – oder allgemein der Kommunikationswissenschaft – im Vergleich zu anderen (Sozial-)Wissenschaften anders umgegangen wird. Nur einer davon: Da es sich um die eigene Profession handelt, glauben etliche, man wisse ja selbst am besten Bescheid. Oder man tut zumindest so.
Aus den Studien zu den Funktionen von Expert:innen im Journalismus wissen wir zudem, dass Zitate in gebauten Beiträgen oft strategisch eingesetzt werden. Das bestätigt sich immer wieder: Aussagen werden verwendet, um das Framing oder die Dramaturgie zu stützen. Weil wir das aus der Forschung wissen, rechnen wir eigentlich damit, lassen uns darauf ein, regen uns nicht darüber auf und begegnen auch dem Mut zur pointierten Äußerung gelassen: „What do you think?“ statt „What do we know?“. Und dass man uns gerne als „Medienwissenschaft“ statt als Kommunikationswissenschaft bezeichnet – geschenkt!
Seit Jahrzehnten gibt es das Lamento, dass die Präsenz unseres Faches in der journalistischen Berichterstattung zu schwach sei, vgl. zum Beispiel die Debatten auf der Dortmunder DGPuK-Jahrestagung 2011 zu „Anwendungsoptionen und gesellschaftliche Relevanz der Kommunikations- und Medienforschung“. Ein Hauptgrund liegt sicher darin, dass Medienjournalismus eine Nische ist, im Vergleich etwa zur Politikberichterstattung.
Zudem gibt es natürlich andere Erfahrungen, auch viele positive. In Wortlautinterviews oder Anfragen für Essays spielt größtenteils die Neugier auf empirische Erkenntnisse und aktuelle Studien eine große Rolle – oder auf die Erklärung von Zusammenhängen auf Basis wissenschaftlicher Theorien („Warum ist Journalismus so?“). Zunehmend kommen normativ geprägte Anfragen, in einem Interview oder Essay die Leistungen des Journalismus nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern zu rechtfertigen oder zu verteidigen, also Journalismus als einen der Schlüsselberufe für eine demokratische Gesellschaft darzustellen und darauf bezogen Anforderungen an die Qualität des Journalismus zu diskutieren. Dass sich die Mühe lohnt, zeigt sich in Anschlussdiskussionen mit Publikum, etwa bei Veranstaltungen zu Zeitungsjubiläen. Menschen zum Nachdenken über den Wert des Journalismus anzuregen, müsste viel öfter auch Aufgabe des Journalismus selbst sein.
Und wenn wir über „Transfer“ sprechen, dann muss man unbedingt auch betonen, dass das Beziehungsgeflecht zwischen Kommunikationswissenschaft – und hier insbesondere der Journalismusforschung – und Redaktionen in den letzten Jahren ungemein gewachsen ist, nicht in erster Linie als Quelle für medienjournalistische Berichte, sondern hinter der Bühne der Öffentlichkeit. Es gibt eine Vielzahl gelungener Kooperationen, bei denen die Hürden zwischen Forschung, Lehre und Praxis nicht ausgeblendet, aber Vorteile für beide Seiten geschaffen werden. Die Zusammenarbeit fördert die gesellschaftliche und praktische Relevanz der Forschung. Und umgekehrt tun sich Redaktionen in ihrem enormen Innovationsdruck leichter, wenn sie Forschungsergebnisse nicht nur wahrnehmen, sondern sich als Partnerinnen auf interaktive Forschungsprozesse einlassen. Von Alphons Silbermanns Pamphlet in der Zeit unter dem Titel „Abgesang auf die deutsche Medien- und Kommunikationswissenschaft“ im Dezember 1996 sind wir jedenfalls meilenweit entfernt.
Referenzen:
Klaus Meier (2020): Redaktionen zukunftsfähig machen. Der Transfer zwischen Medienwissenschaft und Praxis. In: epd medien, Nr. 9 vom 28.2., 7-10. https://edoc.ku.de/id/eprint/23913/1/Meier_epd-medien_Transfer_ zwischen_Medienwissenschaft_und_Praxis.pdf
Jonas Schützeneder / Katherine M. Engelke / Bernadette Uth / Michael Graßl / Korbinian Klinghardt / Laura Badura / Bernd Blöbaum / Klaus Meier (2022): Transferprozesse in der Journalismusforschung. Chancen und Herausforderungen im interund transdisziplinären Kontext der Journalismusforschung. In: M&K, 70 (1-2), 118-139. http://www.doi.org/ 10.5771/1615-634X-2022-1-2-118