Social Media als mächtiger Hebel

Ersetzen soziale Medien die Opinion Leaders? Der Politologe und Leiter der ARD-tagesthemen, Helge Fuhst, schreibt den schnellen und emotionalen Kommunikationsmitteln im Internet eine große Bedeutung zu. Und er bemerkt, dass wissenschaftliche Befunde in der journalistischen Praxis vor allem dann zur Kenntnis genommen werden, wenn sie gut vermarktet werden.

Wie verändern Social Media die Wahlkämpfe? 

Social Media sind in den 2020er Jahren längst zu einem mächtigen Hebel in Wahlkämpfen überall auf der Welt geworden. Parteien und Politiker machen davon allerdings unterschiedlich Gebrauch. Oft ist es eine finanzielle Frage. Wobei es meiner Beobachtung nach immer noch vor allem davon abhängt, ob Parteien und Politiker erkennen, wie wichtig Social Media als Teil des Wahlkampfes ist – und ob sie Social Media effektiv oder sogar prioritär einsetzen, sowohl finanziell als auch strukturell in ihren Kampagnen. 

Deutlich wird in den Wahlkämpfen auch, dass extreme Positionen auf den meisten Social-Media- Plattformen erfolgreicher sind als moderate oder gar differenzierte politische Angebote. Dennoch haben sowohl politische Kräfte der Mitte wie der Ränder die Möglichkeit, einem Wahlsieg mit dem richtigen Einsatz von Social Media näher zu kommen. 

Bei Donald Trump scheint sein jüngster Sohn Barron Trump eine wichtige Rolle dabei gespielt zu haben, seinen Vater unter anderem auf Tik- Tok zu positionieren und gezielt einzusetzen. Eine Plattform, die Trump einst als Präsident verbieten lassen wollte, aufgrund des chinesischen Einflusses. Mit Elon Musk wurde zudem der Eigentümer und Lenker von X zu einem der größten Unterstützer Trumps im Wahlkampf, und Trump besitzt mit Truth Social selbst ein Soziales Netzwerk. 

Die Verbreitung der Botschaften Donald Trumps wäre ohne Soziale Netzwerke, also ohne die direkte Ansprache Trumps zu und mit den Menschen, bei Weitem nicht so erfolgreich gewesen. Dazu gehört die tägliche Auswertung von einzelnen Aussagen, Sound Bites und Auftritten Trumps, beispielsweise in Podcasts, die selbst schon eine enorme Verbreitung haben. Zusätzliche O-Töne viral gehen zu lassen, bringt eine Aufmerksamkeit, die eine Wahlkampagne entscheidend stärken kann. 

Auch in Europa sind der Einfluss und die Wirkung von Social Media auf Wahlen immer wieder zu erkennen, zuletzt bei der Präsidentschaftswahl in Rumänien. Der rechtsradikale prorussische Kandidat Calin Georgescu soll es dank TikTok und russischer Einflussnahme auf der Plattform geschafft haben, deutlich mehr Stimmen zu mobilisieren als die anderen Kandidaten, die womöglich auf TikTok benachteiligt wurden. In dem Fall hat sich u. a. die EU-Kommission eingeschaltet, um Daten auf TikTok sichern zu lassen.

Wie verändern Social Media die Berichterstattung über Wahlkämpfe? 

Die Botschaften der Kandidatinnen und Kandidaten werden in Wahlkämpfen täglich über die Sozialen Netzwerke verbreitet. Diskussionen entstehen und entwickeln sich ebenfalls dort, manchmal in Form von Shitstorms, oder sie zahlen auf das Image der Kandidaten ein. Die klassischen Medien, ob lineares Fernsehen, Radio oder Print, kommen daran oft nicht vorbei. Das Tempo auf den Social-Plattformen bestimmt häufig auch die Berichterstattung über Wahlkämpfe. Dabei erhalten einzelne Fotos, Videos und Aussagen besondere Wahrnehmung, wenn sie viral gehen und anschließend in Nachrichtenbeiträge der Fernsehsender oder in Moderationen mit einfließen. 

Stimmt der Befund von „the People´s Choice“ (Lazarsfeld) heute noch: Sind also Peers, die Kumpels in den Kneipen, etc. wichtiger als die Medien bezogen u. a. auf die Entscheidung, welche Partei oder Person man wählt? 

Für die jüngere Generation ist neben dem Austausch in privater Umgebung, in Bars oder Vereinen, die Social-Media-Welt besonders wichtig geworden, um sich eine politische Meinung zu bilden – ob bewusst oder unterbewusst. Damit ist Social Media neben den klassischen Medien deutlich relevanter geworden, in allen Altersgruppen. Die Aufmerksamkeit der älteren Generationen auf den Plattformen steigt schnell. 

Bis kurz vor der US-Präsidentschaftswahl war von einem Kopf-an-Kopf-Rennen Kamala Harris versus Donald Trump die Rede, dann war das Ergebnis aber tatsächlich rasch sehr deutlich. Welche Umfragen sind entscheidend für die Wahlen? 

Während des Wahlkampfes sind in den USA viele Umfragen veröffentlicht worden, die der Qualität der deutschen Institute nicht entspricht. Zwar wird transparent angegeben, wie viele Menschen in welchem Zeitraum befragt wurden, allerdings ist dabei häufig die Fehlerspanne größer. Da die Präsidentschaftswahlen bundesweit und in den einzelnen Bundesstaaten häufig Ergebnisse hervorbringen mit nur wenigen Prozentpunkten Abstand zwischen den Kandidaten, bewegen sich die Umfrageergebnisse immer wieder innerhalb der Fehlerspanne. 

Dabei bringt in den USA der Blick auf die bundesweiten Umfragen nur etwas, um ein Stimmungsbild für das Land insgesamt zu bekommen, weniger für den Ausgang der Präsidentschaftswahl. Dazu muss aufgrund des Wahlsystems auf die Bundesstaaten geschaut werden: Wie groß sind die Abstände zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten? Wer ist noch unentschieden? Welche Wählergruppen können und müssen umgestimmt oder mobilisiert werden, um den jeweiligen Bundesstaat für sich zu sichern? 

Dabei wählt die große Mehrheit der Bundesstaaten seit Jahrzehnten die jeweils selbe Partei mit deutlicher Mehrheit. Im Fokus stehen daher die sogenannten Swing States, die mal mehrheitlich die Demokraten, mal die Republikaner wählen. 

Werden in Redaktionen Befunde aus der Politikwissenschaft oder Kommunikationswissenschaft z.B. zu Rechts-Links-Verortungen diskutiert? 

In unserer Redaktion hinterfragen und überprüfen wir immer wieder unsere Arbeit und Berichterstattung – ob wir die richtigen Schwerpunkte gesetzt, unterschiedliche Perspektiven aus unserer Gesellschaft abgebildet oder politisch ausgewogen berichtet haben. Dabei nutzen wir unterschiedliche Wege: Sendungsund Formatkritik von externen Gästen aus anderen Medienhäusern, aus der Wissenschaft oder von Experten aus bestimmten Bereichen. Auch das Publikum bewertet uns, täglich in Rückmeldungen auf Social Media, per Mail und auch noch per Briefpost. Wir lassen Befragungen durchführen und laden Besuchergruppen ein, von Schulklassen bis zu Verbandsvertretern, die ebenfalls Feedback zu unserem Programm geben. 

Ergebnisse aus der Wissenschaft, die unsere Berichterstattung betreffen, werden wahrgenommen und in der Redaktion diskutiert. Wir erfahren häufig allerdings erst aufgrund medienwirksamer Veröffentlichungen davon. Dabei wäre ein Austausch dazu für beide Seiten gewinnbringend. Immer wieder werden wir aber bereits auch während der wissenschaftlichen Arbeit und Durchführung dazu angesprochen oder befragt. 

Der Blick auf Deutschland: Was sind für die „tagesthemen“ Kernpunkte im jetzt angelaufenen Bundestagswahlkampf bezogen auf die Regeln im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk? 

Die „tagesthemen“ sind ein Nachrichten-Magazin, das täglich auf die aktuellen Themen und Diskussionen in Deutschland eingehen muss. Daher kann in einem Wahlkampf, der mehrere Monate dauert, beispielsweise bei Interviews nicht jeden Tag nach Proporz eingeladen werden. Die Aktualität entscheidet. Stattdessen sollten über den Zeitraum eines Wahlkampfes insgesamt die Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten angemessen vertreten sein. 

Die Fragen stellte Marlis Prinzing