Wider die Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Von Christina Holtz-Bacha, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Abschaffen. Zusammenlegen. Privatisieren. Werbung untersagen. Kontrollieren. Angriffe auf das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem haben Dauerkonjunktur. Das ist so, seitdem die Westalliierten nach dem Krieg den deutschen Rundfunk nach diesem Modell aufbauten und sich so mancher Politiker einen vom Staat unabhängigen Rundfunk nicht vorstellen konnte.
Wann immer Politiker (und seltener Politikerinnen) sich oder Ministerpräsidenten ihr Bundesland schlecht behandelt fühlen, suchen sie den Einfluss auf Strukturen, Personal und Inhalte. Die wichtigsten Einfallstore sind die Beschlüsse über die Finanzierung sowie die Besetzung der Aufsichtsgremien, wobei letzteres wiederum Mitsprache bei wichtigen Personalfragen mit sich bringt. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die den politischen Einfluss bei ARD und ZDF hätten zurückdrängen sollen, spornten die Gesetzgeber eher noch an, kreativ Aus- und Umwege zu suchen.
Die Rundfunkgebühr in Frage zu stellen und Erhöhungen zu blockieren ist populär, weil die Gebühr unpopulär ist. In den letzten Jahren haben populistische Parteien dieses Thema für sich erkannt und sehen darin einen Hebel, um – oftmals in einer Allianz mit neo-liberalen Kräften – gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Stimmung zu machen. Das ist nicht nur in Deutschland so, auch in Österreich ist von einer „Zwangsgebühr“ die Rede; andere Länder wandelten unter dem Druck der Populisten die Gebühr in eine Steuer um, oder der Staatshaushalt kommt direkt für die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf.
Die aktuellen Bedrohungen um die BBC sollten uns ein Zeichen sein. Schließlich gab die BBC das Vorbild ab für den Wiederaufbau des deutschen Rundfunks nach dem Krieg und verkörpert mit der ausschließlichen Finanzierung durch eine Gebühr und dem Verzicht auf Werbung das ‚reine‘ Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Schon Margaret Thatcher wollte die Gebühr abschaffen und die BBC aus Werbung finanzieren, scheiterte damit jedoch. Seit einigen Jahren gibt es wieder Angriffe auf die Gebühr. Zunächst sprach sich die Brexit-Partei Ukip vor der Wahl 2015 für die Entkriminalisierung von Gebührenverweigerung aus, was für die BBC unweigerlich zu Einnahmenverlusten führen würde. Schließlich begann Boris Johnson im Wahlkampf 2019 das Finanzierungssystem der BBC in Frage zu stellen, nachdem er mit dem Sender wegen eines Interviews in Streit geraten war, und erwärmte sich ebenfalls für die Entkriminalisierung derjenigen, die die Gebühren nicht zahlen. Mittlerweile ist daraus ein ‚all-out war‘, ein kompromissloser Kampf gegen die BBC geworden, der sich aus der Tory-Regierung und ehemaligen Aktivisten der Leave-Kampagne speist und den Start des neuen Privatsenders GB News begleitet. Die Attacken betreffen gleichermaßen den öffentlichen, aber aus Werbung finanzierten Channel 4, dessen Privatisierung die Regierung betreibt.
Der Fall BBC ist nur ein Beispiel für die Bedrohung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in vielen Ländern Westeuropas, angesichts des Modellcharakters der BBC aber sicher auch das beunruhigendste. Die Angriffe kulminieren zu einer Zeit, in der die Traditionsmedien mit ihren Leistungen in der Pandemiezeit ihren Wert einmal mehr unter Beweis gestellt haben, aber eben auch in einer Phase, in der die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Krise abgelenkt ist.
Die Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, wie sie mit dem „Public Service Media and Public Service Internet Manifesto“ gerade auch von der internationalen kommunikationswissenschaftlichen Scientific Community betrieben wird, verschließt keinesfalls den Blick auf Fehlentwicklungen und manchen Reformbedarf. Für Deutschland könnte das bedeuten, den ‚Sündenfall‘ zu überdenken, der ARD und ZDF bei der Einführung des kommerziellen Rundfunks in den Wettbewerb getrieben und trotz Grundversorgungsauftrag die Quote zu ihrem Maßstab gemacht hat. Da letztere den Grund für die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender darstellt, ist mehr als misslich, dass der Auftrag bis heute nicht befriedigend definiert ist und in seiner gesellschaftlichen Relevanz unzureichend öffentlich bewusst gemacht wird.
Denjenigen, die sich berufen fühlen, Veränderungen des öffentlich-rechtliche Rundfunks in Deutschland zu fordern, sei die genaue Lektüre der einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts empfohlen. Wie die Vorgänge um die BBC zeigen, dürfen Reformpläne auf keinen Fall aber denen überlassen bleiben, die unabhängigen Journalismus nicht aushalten können.