Meinungsumfragen am Limit

Andreas Schulz-Tomančok (Österreichische Akademie der Wissenschaften und Universität Klagenfurt)

Besonders in Krisenzeiten stehen sozialwissenschaftliche Analysen zu Meinungen, Einstellungen und (Wahl) Verhalten im medialen und politischen Fokus. Im Superwahljahr 2024, in dem rund ein Drittel der Weltpopulation zur Wahl aufgerufen war, sind bi- und multivariate Analysen zu Mediennutzung, politische Verortung sowie (demokratische) Einstellungen und deren Einfluss auf Wahlpräferenzen bzw. -entscheidungen politisierbare Erkenntnisse, die leider allzu oft auf unterkomplexen Messinstrumenten fußen. 

Prominente Beispiele sind u. a. Umfragen zum Vertrauen in demokratische Institutionen, zur Mediennutzung oder zur obligatorischen Selbstverortung auf der quasi-metrischen Links-Rechts-Skala. Beginnend mit Fragen zum Vertrauen, wie dies bspw. im stark-rezipierten Eurobarometer der Europäischen Kommission abgefragt wird, verdeutlichen im Falle Österreichs ein „fehlendes Vertrauen“, wie es nicht nur Nachrichtenmedien, sondern auch wissenschaftliche Institutionen unkommentiert weiterverbreiten. Allerdings zeigen sich methodische Defizite, wie sie u. a. bereits von Markus Pausch 2008 oder von Homero Gil de Zúñiga 2019 formuliert worden sind. Diese Defizite haben Folgen für die (Sekundär)Betrachtung der kostspielig erhobenen und aufbereiteten Daten. 

Die binäre Aufbereitung von Vertrauen in die Parteien oder in die Medien gegenüber einem fehlenden Vertrauen hat simplifizierende Analyseergebnisse zur Folge. Dasselbe gilt für Fragen der Mediennutzung von Printmedien, TV, Radio, Internet und seit einigen Jahren auch Social Media. Unterscheidungen zwischen verschiedenen Print- oder Internetangeboten werden in einigen Fällen nicht getätigt. Reutersund Gallup- Befragungen stellen Ausnahmen unter den größeren für die Analyse von Mediennutzung und politischer Einstellungen relevanten Erhebungen dar. Auch fachspezifische Analysen, wie jene vielrezipierte komparative Vertrauensstudie von Yarif Tsfati und Gal Ariely von 2014 operationalisiert Vertrauen dichotom. Die mediale Aufnahme des Narrativs einer Vertrauenskrise in Medien und Demokratien basiert demnach auf simplen ja/nein-Fragen mit weniger simplen Implikationen für Politik- und Medienmachenden. Diese fehlende Differenziertheit in der Operationalisierung hat zur Folge, dass simplifizierende und ungenaue Aussagen aus den Daten gezogen werden wie beispielsweise: Personen mit hoher Printmediennutzung vertrauen stärker demokratischen Institutionen als Personen, die vor allem das Internet nutzen. Das ist aber nicht das einzige Problem. 

Ein weiteres Problem liegt in der Fragekonstruktion, die entweder in der öffentlichen, aber auch wissenschaftlichen Diskussion nicht mit kommuniziert wird oder die einen Bias in den Antworten verursachen kann. So haben im Hinblick auf die politische Selbstpositionierung Olaf Jandura und Carina Weinmann vor kurzem aufzeigen können, dass bei knapp einem Drittel ihres Befragungssamples eine Divergenz zwischen Selbstverortung und wertbezogenen Einstellungen zu beobachten war. Eine mögliche Folge könnten verzerrte Analysen politischer Einstellungen und ihres Einflusses auf Wahlpräferenzen und -entscheidungen sein. Damit werden in Konsequenz affektive politische „Gewissheiten“ mit ungenauen Evidenzen untermauert, die nicht nur von Politik und Teilen der Medien, sondern auch von Forschenden selbst nicht hinterfragt werden. 

Das Beispiel der Gegenüberstellung des Eurobarometer 100.2 (2023) und dem Reuters Digital News Report für 2024 illustrieren die genannten Probleme: Im Eurobarometer wird gefragt, ob die Medien „vertrauenswürdige Informationen verbreiten“. 73% der befragten Österreicher:innen antworten mit „Ja, auf jeden Fall“ bzw. „Ja, bis zu einem gewissen Grad“. Die Frage ob dazu tendiert wird, den Medien als Institution eher zu vertrauen wird wiederum im selben Eurobarometer nur von 56% befürwortet. Wenige Monate später wird in der Reuters-Erhebung gefragt, ob „dem Großteil der Nachrichten, die ich nutze, meistens“ vertraut werden kann, dem 35% zustimmten. Letzte Zahl wird oft medial zitiert, ohne das Frage-Wording zu kommunizieren.

Die Kommunikationswissenschaft ist gut beraten, ihre Messinstrumente reflexiv zu hinterfragen und ihre Validität und Reliabilität zu kommunizieren, um bei der Vermittlung von Umfrageergebnissen a) diese, für das Fach eigentlich selbstverständlichen Informationen für ein breiteres Publikum und auch für Medienschaffende jenseits der Wissenschaftsredaktionen mitzuliefern und b) simplifizierenden Aussagen in politischer Kommunikation entgegen zu wirken. Ein wesentliches Forschungsdesiderat kann daher nur ein Mehr an komplexeren Skalen sein. Denn die Welt der politischen Einstellungen ist nicht Schwarz-Weiß, so wie es Teile der Polarisierungsagent: innen aus Medien und Politik proklamieren.