Transdiziplinarität braucht Regeln der Scientific Community 

Vinzenz Wyss

 

Vinzenz Wyss, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur 

„Transdisziplinarität in der Medien- und Kommunikationswissenschaft – Return on Investment oder vergebliche Liebesmüh’?“ So lautet die Fragestellung, unter der die Schweizerische Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft SGKM im Jahr 2013 eine Fachtagung ausgerichtet hat. Ich war damals Präsident dieser Gesellschaft und stolz, das Thema Transdisziplinarität endlich in die Scientific Community zu tragen. Heute – nach mehr als zehn Jahren – muss ich feststellen, dass dieses Vorhaben eher vergebliche Liebesmüh‘ war. Auch heute noch scheinen hartgesottene Wissenschaftler:innen unserer Disziplin den Transfer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft misszuverstehen. Denn sie weisen der Wissenschaft den Status der dominanten Produzentin von Wissen zu, deren Erkenntnisse „erfolgreich“ in die Gesellschaft verteilt und dort etwa Regulierungsbehörden, Medien- und Branchenorganisationen, Medienschaffende, politische, psychologische oder pädagogische (Kommunikations-)Berater:innen erreichen sollen. Dieses herkömmliche Transfer- Kaskade-Konzept scheitert in Regel. 

Die Medien- und Kommunikationswissenschaft wird jedoch immer mehr herausgefordert, ihre Leistungsfähigkeit und Dienlichkeit als anwendungsorientierte Wissenschaft unter Beweis zu stellen. Der härter werdende Wettbewerb um finanzielle Ressourcen für Wissenschaft verlangt von den Forschenden zunehmend die öffentliche Legitimation ihres Forschens. Gleichzeitig birgt die erwartete Transferleistung die Gefahr der Vernachlässigung von Grundlagenforschung und des Reputationsverlustes innerhalb der Wissenschaft. Transferbemühungen können ausserdem überhöhte Erwartungen an die Verwertbarkeit kommunikations- und medienwissenschaftlicher Forschung zur Folge haben. 

Die Qualität der transdisziplinären Forschung wird massgeblich davon bestimmt, wie die Forschenden mit solchen Spannungen zurechtkommen. Sie müssen ein Reflexionsvermögen bezüglich der Chancen und Fährnisse des gewünschten Transfers aufbauen und bestimmte Prinzipien und Gütekriterien der Transdisziplinarität beachten: Forschende sollen von Anfang an problembezogene Transferüberlegungen in die Konzeption ihrer Forschungsvorhaben einbeziehen, Anwender:innen interaktiv und substanziell an der Forschung beteiligen und – eine zentrale Bedingung für das Gelingen des Transfers – mit ihnen eine gemeinsame Sprache entwickeln. Es ist zu akzeptieren, dass Wissenschaft und Praxis nach einer je eigenen Logik operieren und die zu lösenden Probleme im Rahmen ihrer eigenen Rationalität definieren. Ein Beispiel: Eine ja gut gemeinte wissenschaftliche Qualitätsvermessung der journalistischen Berichterstattung wird den Journalismus nur dann zum Räsonieren bringen, wenn das konstitutive Qualitätskriterium „Vermittlungsqualität im Sinne von Narrativität“ auch in das Messmodell aufgenommen wird. Ansonsten läuft man Gefahr, dass die Befunde entweder nichts bewegen oder bloss die PR-Maschinerie der Medienunternehmen in Gang setzen. 

Die Etablierung eines gemeinsamen Problemverständnisses sowie die klare Definition der (beidseitigen) Kompetenzen sind hier also für einen gelingenden Transferprozess notwendig. Der Umgang mit diesem Spannungsfeld zwischen der heiklen Nähe und der transferfeindlichen Distanz zum Forschungsgegenstand sollte nicht den einzelnen Forschenden allein überlassen werden. Vielmehr braucht es Regeln als Leitplanken, die den um Transfer bemühten Wissenschaftler: innen helfen, bei der Planung und Reflexion ihrer Vorhaben besser zurechtzukommen. Die von der Transdisziplinaritätsforschung bereitgestellten Gütekriterien können das erforderliche Reflexionsvermögen stützen. Es schleckt aber keine Geiss weg, dass mit jeder Tansferbemühung auch die Gefahr des Reputationsverlusts zunimmt, wenn Gefälligkeitskriterien der Anwender-Klientel über wissenschaftliche Validitätserfordernisse gestellt werden. Entsprechende Regeln sind heute in der Scientific Community noch nicht einfach so abrufbar. Gut also, dass Aviso dazu einen neuen Aufschlag macht! 

Es ist Sache der Wissenschaftsgesellschaften und der Akademien, unter Berücksichtigung der Transdisziplinaritätsforschung entsprechende Regeln zu identifizieren und innerhalb der Fachgesellschaften Verständigungsprozesse anzustossen. Solche Regeln müssen nicht zuletzt auch das Bemühen um öffentliche Kommunikation betreffen. Denn manche Kolleg:innen können ein Liedchen davon singen, dass bereits die Bereitschaft, sich auf mediale Anfragen einzulassen, bei Wissenschaftskolleg:innen ein kollektives Nasenrümpfen auslöst.