Eine Debatte gerne, aber unter anderen Voraussetzungen!
Muss ein Debattenbeitrag in einer Fachzeitschrift wissenschaftlichen Qualitätskriterien genügen? Ja, das sollte er. Gleichzeitig sollten Fachzeitschriften auch bei Meinungsbeiträgen deren Qualität überprüfen. Wir fragen, wie der Beitrag „Genderstern und Binnen-I. Zu falscher Symbolpolitik in Zeiten eines zunehmenden Illiberalismus“ trotz inhaltlicher Leerstellen und fragwürdiger Sprachbilder seinen Weg ins Forum der „Publizistik“ finden konnte und laden dazu ein, zum wissenschaftlichen Diskurs zurückzukehren und das Thema unter Berücksichtigung seiner Standards zu diskutieren.
Als Sprecherinnen der Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht ist uns grundsätzlich an einer kritischen und öffentlichen Debatte um die Bedeutung von Geschlecht und die Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft gelegen. Wir sind offen für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung und eine produktive Diskussion. Aus diesem Grund hatten wir zunächst zugesagt, als uns kurz vor Weihnachten die Anfrage der „Publizistik“-Redaktion erreichte, ob wir eine Replik zu dem bereits zur Publikation angenommenen Beitrag von Rudolf Stöber verfassen würden.
Nach genauerer Lektüre mussten wir jedoch feststellen, dass der Beitrag drei zentrale Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens empfindlich verletzt und damit den Einstieg in eine Diskussion unmöglich macht: Eine gründliche Recherche des Forschungsstands, eine genaue, nachvollziehbare Argumentation sowie die gebotene Sachlichkeit wissenschaftlichen Diskutierens.
Der Beitrag ignoriert erstens den aktuellen Forschungsstand zum Thema geschlechtergerechte Sprache weitgehend – das belegt die hier veröffentlichte Literaturliste anschaulich. Abgesehen davon argumentiert er zweitens nicht präzise. Der Autor greift nicht nur oft wiederholte, vielfach diskutierte und widerlegte Argumente auf, verweist auf Beispiele und Topoi, die aus Artikeln konservativer Pressemedien hinlänglich bekannt sind, sondern er konstruiert in klassischer Täter-Opfer-Umkehr das Feindbild einer nicht näher bestimmten manipulativen Macht und Sprachpolizei, die in die wissenschaftliche Arbeit und das Denken eingreife. Daraus folgt drittens eine Art der Auseinandersetzung, die wir entschieden ablehnen: Nicht zuletzt durch die unsäglichen und maßlosen Vergleiche zu totalitären Systemen, auf die unter anderem in dem offenen Brief Bezug genommen wird, ist der Beitrag aus unserer Sicht indiskutabel. Es handelt sich bei dem Artikel somit nicht um einen Debatten-, sondern um einen Debattenverweigerungsbeitrag, der nicht geeignet ist, den Raum eines kontroversen und produktiven Diskurses zu eröffnen. Wir sind verwundert, dass diese Monita im redaktionellen Entscheidungsprozess unberücksichtigt blieben.
Der Austausch von fachlichen Argumenten zu Fragen der Geschlechtergerechtigkeit aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive findet an vielen Orten im Fach statt. Ein wichtiger Anker hierfür ist seit Jahren die Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht, deren Mitglieder mit einer Vielfalt an Forschungsthemen zu dieser Debatte beitragen. Erfreulich ist, wenn diese Perspektiven auch breiter im Fach diskutiert werden. Dabei sollte es immer auch kritisch und kontrovers zugehen. Aber Verständigung kann nur dann gelingen, wenn die dargestellten Positionen über bloße Provokation und Polemik hinausgehen. Wir freuen uns auf eine Debatte unter solchen, anderen Voraussetzungen.
Kathrin F. Müller & Corinna Peil, Sprecherinnen der Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht
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