Jahrbücher
Jahrestagung der Fachgruppe Medienökonomie der DGPUK 2019
Jessica Merten
„Dem WDR muss es gelingen, alle Generationen zu erreichen, und wir müssen dabei verstärkt auf junge Leute setzen.“ (Kölner Stadtanzeiger 2013). Dieses Ziel formuliert Tom Buhrow im Jahre 2013 bei seinem Amtsantritt als neuer Intendant des Westdeutschen Rundfunks. Er will den WDR durch den digitalen Wandel führen und den öffentlich-rechtlichen Informations - und Bildungsauftrag ins Digitale übersetzen. Das bedeutet: „Mehr Menschen auf mehr Ausspielwegen erreichen." 2014 gerät der Sender in einen tiefgreifenden Umbruch. Damals gibt Intendant Tom Buhrow bekannt, dass der WDR in der Zeit zwischen 2016 und 2021 insgesamt 500 Planstellen abbauen wird. Dabei gehe es um frei werdende Stellen, die nicht mehr nachbesetzt würden. Ab 2016 gebe es eine jährliche 100-Millionen-Euro-Lücke. Steigende Produktionskosten könnten durch den Rundfunkbeitrag, der seit Jahren konstant geblieben sei, nicht mehr aufgefangen werden. Gleichzeitig muss sich der WDR dem digitalen Wandel stellen – und dies inmitten eines Sparkurses mit weniger Personal, weniger Geld und steigenden Anforderungen an das Programm.
Christian Zabel, Verena Telkmann
Das Management von (technologischen) Innovationen ist für Medienunternehmen immer wichtiger geworden. Dennoch werden technologiegetriebene Medieninnovationen, die große Potenziale zur nachhaltigen Differenzierung vom Wettbewerb bieten, oft nicht frühzeitig genutzt. Um die Fallstricke bei der Einführung solcher Innovationen zu analysieren, wurden zwischen Februar und April 2019 in Fallstudien fünf deutsche Medienunternehmen untersucht, die die gleiche emergente Technologie (Cross Reality (=XR), die Virtual, Mixed und Augmented Reality-Technologien umfasst) eingeführt haben. XR ist dazu besonders geeignet, da sie sich in der deutschen Medienbranche noch in einer frühen Phase auf der Adoptionskurve befindet und sowohl technologische als auch inhaltliche Herausforderungen aufweist. Als besonders wichtig haben sich mehrere Einflussfaktoren, wie die Unterstützung durch das Top-Management, die Existenz eines Innovationstreibers, die Zusammenarbeit mit der internen IT und der Aufbau von nachhaltigem Know-how in den Unternehmen erwiesen. Während die Medienunternehmen insbesondere von der hohen Motivation des Innovationstreibers der Projekte profitierten, war festzustellen, dass mangelnde Integration in größere Innovationsinitiativen (die auch auf die Nutzung des vorhandenen Know-hows und die Schaffung von Kompetenzen für die zukünftige Nutzung abzielen) und begrenzte interne IT-Ressourcen eine rasche Einführung behindert haben. In den untersuchten Medienunternehmen lag der Fokus der redaktionellen Mitarbeiter vor allem auf den inhaltlichen Aspekten und weniger auf dem Aufbau technologischen Fachwissens.
Lars Rinsdorf, Christopher Buschow
Das Innovationsmanagement von Medienorganisationen unterliegt derzeit erheblichen Veränderungen: Im veränderten Marktumfeld erweisen sich Flexibilität, schnelle Richtungswechsel und Anpassungsfähigkeit als zentral. Darauf muss auch die Medienmanagement-Forschung reagieren: Um die Agilität der gegenwärtigen Unternehmenspraxis valide zu erforschen, ist eine ebenso agile, adaptive Forschung gefordert. Zu diesem Zweck schlägt der Beitrag eine praxistheoretische Perspektive auf das Innovationsmanagement von Medienorganisationen vor. Empirische Forschungsdesigns, die aus einem solchen Zugriff resultieren, werden sowohl hinsichtlich ihrer methodischen Herausforderungen als auch ihres Forschungsprojektmanagements diskutiert. Der Beitrag greift außerdem neue Möglichkeitsräume des wissenschaftlichen Publizierens, des Universitätsmanagements sowie der Forschungsorganisation auf, die praxistheoretisch gegründete, empirische Innovationsforschung in der Medienwirtschaft einfordert.
Florian Krauß
Der Beitrag untersucht, wie Fernsehschaffende in Deutschland gegenwärtig ‚Qualitätsserien‘ und damit verknüpft Innovationen aushandeln. Zunächst stehen Diskurse zu Produktinnovationen im Vordergrund: Die Produzierenden erkunden Qualität und Innovation in Fernsehserien und ihrer Narration. Der zweite Teil fokussiert sich auf Diskurse zu Prozessinnovationen: Welche Entwicklungs- und Produktionsweisen stellen aus Sicht der Fernsehschaffenden Innovationen dar und ermöglichen das Entstehen von Innovation und Qualität? Zentrale Grundlage sind 13 Expert*inneninterviews mit Drehbuchautor*innen, Redakteur*innen, Produzent*innen und Regisseuren im Untersuchungszeitraum 2016 bis 2019. Die Analyse greift auf zwei theoretische Rahmungen zurück: Einerseits ist Boris Groys kulturphilosophisches Modell eine fruchtbare Grundlage, um künstlerisch-kulturelle Dimensionen der Produktinnovation zu berücksichtigen. Andererseits wird das Modell der Projektnetzwerke herangezogen, um die Diskurse zu der netzwerkförmigen, historisch gewachsenen Zusammenarbeit und zu möglichen Prozessinnovationen einzuordnen.
Steffen Kolb, Svenja Diedrich
Non-lineare Anbieter von audiovisuellen Inhalten, wie beispielweise Netflix, erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit auf dem digitalisierten Medienmarkt
. Im Vergleich zu linearen Fernsehanbietern verfügen sie aber nur über beschränkte Einnahmequellen, weswegen die Vermutung naheliegt, dass sie alternative Finanzie-rungswege finden müssen. Hierbei könnten Produktplatzierungen in Eigenproduktionen eine maßgebliche Einnahmequelle für non-lineare Anbieter darstellen. Daher wurde in einer Vor- und einer Hauptstudie das Vorkommen von Produktplatzierungen in Eigenproduktionen von Netflix und linearen Fernsehanbietern inhaltsanalytisch untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Produktplatzierungen in Produktionen non-linearer Anbieter häufiger und länger gezeigt werden als bei linearen Anbietern. Unterschiede zeigten sich außerdem in der Darstellungsgröße sowie der Platzierung im Raum. Hinsichtlich der Einbeziehung der Produkte in den Ablauf und die Handlung der Szene wurde festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der Produktplatzie-rungen sowohl bei linearen als bei non-linearen Produktionen in den Ablauf und die Handlung der Szene integriert wurde. Zentrale Einschränkungen der vorgestellten Studien sind die Nichtnachweisbarkeit von Entgeltleistungen von Produktplatzierungen durch inhaltsanalytische Arbeiten sowie die begrenzte Aussage-kraft der Studien aufgrund der Fallauswahl. Dennoch stellen die Ergebnisse wegen der häufigeren Verwen-dung von Produktplatzierungen in non-linearem Fernsehen einen wichtigen Anstoß für weitere Forschung dar.Marc-Christian Ollrog, Megan Neumann
Die Zeitungsbranche erlebt erhebliche Veränderungen infolge der Digitalisierung und neuer Technologien und gestaltet diese inzwischen auch selbst mit. Sie bietet digitale, moderne Produkte an, die auf Nachfrage stoßen. Zwar soll einerseits die Reichweite des Blattes erhalten bleiben, um von den zulegenden digitalen Werbeerlösen zu profitieren, doch sollen andererseits gleichzeitig dringend benötigte neue Vertriebserlöse im digitalen Umfeld generiert werden. Entsprechend sind ausgewählte selbst produzierte Inhalte im digitalen Kanal lange nicht mehr kostenfrei erhältlich. In der Konsequenz stellt sich die Frage danach, welche Inhalte mit welchen Eigenschaften hinter die Paywall gelangen. Der Begriff des Mehrwerts wurde hierbei als zentrales Konstrukt herangezogen. Ziel der Studie war es, zu prüfen, ob Paid Content tatsächlich einen höheren Kundennutzen bietet, der sich in einem höheren Mehrwert widerspiegelt, gegenüber (ehemals) kostenfreien Inhalten. Mittels quantitativer Inhaltsanalyse wurden 150 Plus-Artikel und 150 kostenfreie Artikel im Finanz- und Wirtschaftsresort der BILD, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 31. Januar 2019 untersucht und verglichen. Die Analyse hat gezeigt, dass es zwar Unterschiede zwischen Artikeln hinter und vor der Paywall gibt, diese aber bisher etwas weniger ausgeprägt sind als erwartet. Am stärksten ausgeprägt sind bisweilen die Unterschiede für zahlende Leser bei der Ausführlichkeit und Länge der Beiträge. Zudem konnten Unterschiede zwischen den Medien festgestellt werden.
Matthias Johannes Bauer, Valentina Stevic
Während lokale Zeitungen die höchste Relevanz für die lokale und regionale Meinungsbildung besitzen und sich der lokale Radiomarkt insgesamt strukturell recht stabil zeigt, hat es der lokale Fernsehmarkt hingegen wesentlich schwieriger. Mit einem von der Landesanstalt für Medien NRW beziehungsweise der Stiftung ,Vor Ort NRW‘ geförderten Projekt richtete das Duisburger Lokalfernsehen STUDIO 47 im Jahr 2018 eine ,Innovationsredaktion‘ ein, deren Thema die Formatentwicklung im regionalen Fernsehen war. Ziel dieses Innovationsprojektes war es, zukunftsfähige Erlösmodelle zu schaffen sowie Relevanz und Publikumsnähe zu bewahren. Das Projekt und seine Ergebnisse stehen im Fokus der vorliegenden, stichprobenhaften Untersuchung. Als Fazit lässt sich konstatieren, dass ein stabiles und vielfältiges Lokal- und Regionalfernsehen in Deutschland möglich ist. Um diese Vielfalt jedoch zu sichern, brauchen regionale und lokale Fernsehmacher dringend Förderungen – oder allgemeiner: zusätzliche Finanzierung – um neue, kreative Programmkonzepte umsetzen zu können. Der lokale TV-Sender STUDIO 47 zeigt, wie es möglich ist, teils unabhängig und dennoch gewinnbringend zu arbeiten, und wie die Verantwortlichen umgesetzt haben, im regulären Produktionsbetrieb eines lokalen Medienunternehmens Platz für neue Experimente zu schaffen.
Britta M. Gossel, Miriam Bernhard, Andreas Will, Julian Windscheid
Technologien und technologische Veränderungen sind eng mit der Weiterentwicklung von Medienindustrien und Medienmanagement verknüpft. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, Medienmanagementforschung auch mit Blick auf die Weiter- und Neuentwicklung von Technologien zu gestalten, da bereits jetzt Technologien die konzeptionelle und empirische Arbeit in der Forschungsdisziplin beeinflussen. Der vorliegende Beitrag fasst in einem ersten Schritt drei empirische Studien zusammen, in denen Expertengruppen die Bedeutung von neun Zukunftstechnologien für das Medienmanagement einschätzen. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse einer strukturierten Literaturanalyse dargestellt, bei der N=147 Publikationen aus dem Feld der Medienmanagementforschung (2009-2019) hinsichtlich der Berücksichtigung von Zukunftstechnologien analysiert wurden. In einem dritten Schritt werden aus diesen beiden Perspektiven Potenziale für die zukünftige Medienmanagementforschung abgeleitet. Mit diesem Beitrag sollen Vorschläge angeboten werden, wie etablierte Forschungsprozesse hinterfragt werden können und neue Theorieperspektiven Optionen neuer Fragen eröffnen.
Henriette Heidbrink
Im Zuge der Digitalisierung hat der Trend zur Ökonomisierung eine neue Dynamik entwickelt, die auch journalistische Gründer*innen betrifft. In Beratungs- und Weiterbildungsangeboten kommen sie insbesondere mit zwei prominenten Innovationsmethoden in Kontakt: Lean Startup und Design Thinking. Mithilfe des Method Engineering illustriert dieser Beitrag, wie und wo in beiden Methoden ökonomische Prinzipien greifen, die für die journalistischen Gründer*innen bedeuten können, dass sie ihre Produkte oder Dienstleistungen weniger in Richtung eines gesellschaftsrelevanten Journalismus entwickeln, sondern stärker in Richtung einer kommerzialisierten Variante. Im Anschluss an die Strukturanalyse und Methodenkritik wird eine reflexive Einbettung beider Methoden skizziert, um journalistische Gründer*innen bei der Entwicklung gesellschaftsrelevanter Journalismusprojekte zu unterstützen.
Magdalena Ciepluch, Uwe Eisenbeis, Boris Alexander Kühnle
Technische Innovationen haben schon immer Medieninnovationen ausgelöst und die Art und Weise der Medienproduktion und Medienvermarktung sowie der Medienrezeption verändert (u.a. Broich 2015: 238; Hasenpusch 2018: 21). Für Medienunternehmen bietet Technik die Möglichkeit zur Differenzierung und das Potenzial, darüber einen Wettbewerbsvorteil für ihre Geschäfts- und Wertschöpfungsmodelle zu generieren. Entsprechend dieser Perspektive dient Technik für Medienunternehmen als Treibergröße und ‚enabler‘ für dauerhaft werthaltige Wettbewerbspositionen (Zerdick et al. 2001; Godefroid/Kühnle 2018). Insofern bearbeitet der vorliegende Beitrag die Frage: Wie gehen insbesondere junge Medienunternehmen mit technologischen Innovationen um und wie adaptieren sie diese? Dabei unterstellt unser theoretischer Bezugsrahmen, dass die Kombination aus Konvergenzmöglichkeiten einer digitalen Medienwirtschaft, den Besonderheiten kreativwirtschaftlicher Güter und regionaler Gegebenheiten Technikadaption spezifisch fördern. Im Ergebnis zeigt sich: Die Technikadaption von Medienunternehmen unterscheidet sich kaum von Unternehmen anderer Sektoren – das heißt Konvergenz- und Kreativitätsguterwartungen bestätigen sich nicht. Aber: Regionale Cluster sind erkennbar.
Miriam Goetz
Hinweis: Das Paper wurde bereits in der Medienwirtschaft 4/2019 veröffentlicht und ist ein genehmigter Reprint. Im Interesse der Lesbarkeit wurde auf geschlechtsbezogene Formulierungen verzichtet. Selbstverständlich sind immer Frauen und Männer gemeint, auch wenn explizit nur eines der Geschlechter angesprochen wird.
Die deutschen Zeitungsverlage befinden sich in einer Umbruchsituation: Die ZeitungsleserInnen altern kontinuierlich und sterben auf Sicht aus. Schwindende LeserInnenzahlen und fortschreitende Digitalisierung korrelieren unmittelbar mit den Anzeigenpreisen und sorgen entsprechend für geringere Erlöse. Junge LeserInnen sind nur bedingt für das Medium Zeitung (analog und/oder digital) zu begeistern und tun sich schwer mit den angebotenen Preisen und/oder Abo-Modellen. Eine langfristig stabile, neue Erlösquelle muss gefunden werden, und dabei könnten KundInnenclubs, unter bestimmten Bedingungen, eine Lösung darstellen. Angesichts anhaltend schwindender Anzeigenerlöse, müssen Vertriebseinnahmen in Print und Online das entstehende Erlös-Delta der Verlage ausgleichen. Die Nachfrage nach Online-Angeboten wächst beständig, ergo setzen Verlage auf digitale Produkte, deren Erlöse aber bei weitem nicht die anfallenden Produktionskosten decken. Ferner soll das Abonnement für LeserInnen attraktiv gehalten bzw. gemacht werden. Mit steigender wirtschaftlicher Bedeutung des Abos und der dahinterstehenden AbnehmerInnen stehen die Verlage vor drei großen Herausforderungen: Erstens neue AbonnentInnen zu gewinnen, zweitens den bestehenden AbonnentInnenstamm langfristig zu halten und drittens die Kündiger-Rate („Churn Rate“) zu minimieren. Es soll in diesem Beitrag eruiert werden, ob AbonnentInnenclubs ein probates Mittel der AbonnentInnenbindung darstellen und wenn ja, welche Parameter diese enthalten sollten. Hierfür werden zunächst die Erwartungen der LeserInnenschaft an jetzige und künftige Abo-Modelle eruiert. Es folgt eine kurze, theoretische Einführung in die Mechanismen der KundInnenbindung, die dann anhand eines Best-Practice Beispiels in ihrer praktischen Umsetzung geprüft werden sollen. In einem abschließenden Vergleich von fünf Zeitungsverlagen sollen deren bis dato eingesetzten LeserInnenclubmodelle analysiert und ein Ausblick auf künftige Bindungstrends gegeben werden.
Marcel Hauck, Sven Pagel
Bevor Innovationen eingeführt werden können, muss zunächst ermittelt werden, welche Technologien und Anwendungen überhaupt am Markt verfügbar sind. Einen strukturierten Überblick hierzu bieten sogenannte ‚Technology Landscapes‘, deren Methodik noch weiter verbessert werden kann. Der vorliegende Artikel bietet mit diesem Instrument einen strukturierten Überblick über das Arbeitsgebiet ‚Künstliche Intelligenz in der Medienbranche‘. Die hierbei erstellte AI Media Technology Landscape (https://wimm.pages.gitlab.rlp.net/ai-media-technology-landscape/) eignet sich dafür, neue Technologien zu erkennen, um sie dann in einem unternehmensspezifischen Prozess zu evaluieren und implementieren. Dies ermöglicht eine geleitete und zielgerichtete Einführung von Verfahren der Künstlichen Intelligenz in Medienunternehmen.
Hinweise: Dieser Beitrag ist im Rahmen der Fördermaßnahme ‚InnoProm – Innovation und Promotion‘ entstanden. Diese wird durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert, kofinanziert vom Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz und dem Kooperationsunternehmen loci GmbH Deutschland. Der Beitrag wurde in einer früheren Fassung bereits in MedienWirtschaft 4/2019 veröffentlicht. Dies ist ein genehmigter Reprint.
Sibylle Kunz, Sven Pagel, Svenja Hagenhoff
Der Beitrag beschreibt ein Referenzmodell zur Bestimmung der Usability digitaler Fachmagazine, das Verlage dabei unterstützt, Produkte zu evaluieren und/oder so zu gestalten, dass die digitalen Eigenschaften einen für Leser wahrnehmbaren Nutzen aufweisen. Das Modell beruht auf einer mehrdimensionalen Zielgruppenanalyse und dem 5-Planes-Model zur User Experience. Die Autoren stellen ein empirisches Mehrmethodendesign zur Bestimmung eines Usability-Scores oder Reifegrades vor, mit dem das Modell derzeit anhand von acht Fachmagazinen getestet wird und das neben halboffenen Experteninterviews zahlreiche Elemente aus der Usability-Forschung wie z.B. Heuristische Evaluation und Eyetracking umfasst. Erste Ergebnisse zeigen, dass die vom Leser gewünschten Inhalte dabei keineswegs „just ONE click away“ sind und sowohl pragmatische wie auch hedonische Qualität noch Verbesserungsbedarf aufweisen.
Hinweis: Dieser Beitrag erschien auch in Heft 4/2019 der MedienWirtschaft, es handelt sich um einen genehmigten Reprint.
Annika Ehlers, Harald Rau
Hinweis: Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte Variante der Publikation „Die Zukunft – eine Frage von Zeit und Ort“, die in der Ausgabe 4/2019 der Medienwirtschaft, S. 22-31, erschienen ist. Dies ist ein genehmigter Reprint.
In einer Gesellschaft, in der sich Individuen gleichermaßen mobil und online bewegen, erwartet man von der Medienkommunikation, dass sie sich genau darauf einstellt. Das heißt: Angebote von Zeitungen, Hörfunk oder Fernsehsendern müssten nach dieser Auffassung den gesellschaftlichen Anspruch spiegeln, indem sie Nachrichten auch online, mobil und mit konkretem Ortsbezug zur Verfügung stellen. Studien zeigten in der Vergangenheit, dass dies keineswegs der Fall ist. Der Beitrag zeigt, dass dies auch heute gilt: So genannte LBS, also lokalbasierte Dienste (Location-based Services) sind in der informationsorientierten Medienkommunikation in Deutschland weitestgehend ausgeblendet. Dies wird anhand einer Inhaltsanalyse mobiler Nachrichten-Anwendung sowie der Auswertung einer durchgeführten Online-Nutzerbefragung gezeigt.
Hardy Gundlach, Ulrich Hofmann
Die Studie argumentiert, dass angesichts der wirtschaftlichen Rückschläge in den Werbe- und Rezipientenmärkten die traditionellen Medienunternehmen Innovationen bei der Distribution der Medieninhalte im Wettbewerb mit den Internet-Intermediären und deren maschinellen Algorithmen umsetzen müssen. Die Innovationspotenziale betreffen die Informationsdienstleistungen wie z. B. Such- und Navigationshilfen. Die Informationsdienste dienen nicht nur als Vertriebskanäle für Medieninhalte, vielmehr haben sie heute wichtige Gatekeeper-Funktionen; sie können quasi wie eine „zweite redaktionelle Bearbeitung“ wirken. Dies verdeutlicht der empirische Vergleich der Relevanzbewertungen, u. a. der Vergleich der Relevanz journalistischer Selektionen mit alternativen Relevanzurteilen.
Hinweis: Das Paper wurde bereits in der Medienwirtschaft 4/2019 veröffentlicht und ist ein genehmigter Reprint.
Jahrestagung der Fachgruppen Wissenschaftskommunikation und Kommunikationsgeschichte der DGPUK 2020
Bernd Kulawik
1547 publizierte der Sieneser Humanist Claudio Tolomei einen 1542 verfassten Brief, in dem er ein systematisches Publikationsprogramm zur Wiedergewinnung aller theoretischen und praktischen Kenntnisse über die antike römische Architektur darlegte. Ziel war die Etablierung einer Grundlage für alle zukünftige Architektur, die auf den besten Vorbildern und Lehren der Antike beruhen sollte. Das Projekt galt bisher als weitgehend nicht realisiert und eigentlich auch gar nicht realisierbar. Neueste Forschungen zeigen aber nun, dass eine riesige Zahl handschriftlicher Quellen (Manuskripte und Zeichnungen) sowie frühe Drucke sich dem Projekt zuweisen lassen, so dass es berechtigt erscheint, von seiner fast vollständigen Realisierung zu sprechen. Die ca. 200 mitwirkenden Gelehrten und Künstler trafen sich in unterschiedlichen Konstellationen über gut 25 Jahre regelmäßig in Rom zu Gesprächen, führten aber mit Abwesenden auch einen intensiven, internationalen Briefwechsel, von dem Teile als die ersten modernen Briefsammlungen zeitgenössischer Autoren veröffentlicht wurden. Sie lassen sich als die vermutlich frühesten Beispiele systematischer interner und externer Wissenschaftskommunikation charakterisieren, wobei letztere noch um die Publikationen erweitert wird, in denen die Forschungsergebnisse dokumentiert und zusammengefasst wurden. Sie wandten sich zum Teil an Fachleute, aber auch an ein breitere Publikum, und gelten vielfach als Gründungsurkunden der modernen historischen Wissenschaften. Allerdings wurden sie bisher nicht in ihrem nun erkennbaren gemeinsamen, systematischen Enstehungskontext betrachtet.
Brigitte Huber, Victoria Ertelthalner
Universitäten setzen in der strategischen Kommunikation zunehmend auf Social Media. Studien zeigen, dass dabei das dialogische Potential von Social Media jedoch nur ansatzweise genutzt wird. Hier setzt die vorliegende Studie an und nimmt eine Plattform in den Blick, die von der Hochschulkommunikationsforschung bislang noch vernachlässigt wurde: Instagram. Konkret geht die Studie der Frage nach, wie Universitäten in Deutschland, Österreich und Schweiz auf Instagram kommunizieren. Ergebnisse der Inhaltsanalyse von Instagram Posts (n = 407) zeigen, dass die Kommunikation von Universitäten mittlerweile über einseitige Informationsvermittlung hinausgeht. Universitäten stellen durchaus Fragen an User*innen, was sich positiv in der Anzahl an Reaktionen in Form von Kommentaren niederschlägt. Auf Fragen von Seiten der User*innen können Universitäten hingegen noch stärker reagieren. Implikationen für das Social Media Management an Hochschulen werden diskutiert.
Stephan Schlögl, Moritz Bürger, Hannah Schmid-Petri
Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, verschiedene Formen digitaler Ungleichheit im Rahmen von Kollaborationsprozessen online zu untersuchen. Konkret analysieren wir digitale Ungleichheiten hinsichtlich der geografischen Herkunft von Editor*innen der Wikipedia. Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass Teilnehmer*innen aus Industrieländern hier besonders stark vertreten sind, während in anderen Regionen (insbesondere in sogenannten Entwicklungsländern) kaum Menschen teilnehmen. Die vorliegende Studie untersucht, wie sich die Autor*innengeographie in der Bearbeitung (Partizipation, Einfluss und Erfolg) von Artikeln zu den Unabhängigkeitsprozessen ehemaliger Kolonien in Afrika widerspiegelt. Die Analyse basiert auf insgesamt 354 Wikipedia-Artikeln. Anhand der Geolokalisierung von 75% der beteiligten Editor*innen (N = 23.408) zeigen wir, dass die meisten Bearbeitungen von Editor*innen aus Frankreich vorgenommen werden. Dieses Ungleichgewicht zeigt sich auch gemessen am gesamten Textanteil im Laufe der Zeit. Auf der Ebene der einzelnen Nutzer*innen lässt sich jedoch feststellen, dass Editor*innen aus Frankreich nur geringfügig erfolgreicher sind als jene aus den afrikanischen Nachfolgestaaten, wenn es um die längerfristige Sichtbarkeit ihrer Beiträge geht.
Louisa Blankenburg, Doreen Reifegerste, Patrick Rössler
Der Beginn des 20. Jh. war eine Zeit großer Wissenschaftspopulisierung, die sich u.a. auch in den Gesundheitsausstellungen dieser Zeit niederschlug. Nun stellt sich die Frage, inwieweit die gesundheitsbezogenen Vermittlungsformen wissenschaflicher Erkenntnisse auch zur Verbreitung nationalsozialistischer Ideologien und Wertevorstellungen genutzt wurden. Um diese Frage zu untersuchen wurde exemplarisch die Gesundheitsausstellung „Gesundes Leben - Frohes Schaffen“, aus dem Jahr 1938 herangezogen. Dabei lag der Fokus auf der „Halle der Selbsterkenntnis“ und den darin enthaltenen zwölf Stationen zur Körperleistungsmessung. Die Untersuchung zeigt verschiedene Wissenschaftsvermittlungsformen der Nationalsozialisten auf, die Gesundheits-aufklärungmaßnahmen in Ausstellungen zur Durchsetzung politischer Ziele verwendeten. Diese „eingefärbten Informationen“ stellten keine neutrale Informationserweiterung zu einer individuellen Gesunderhaltung dar, sondern dienten der indoktrinären Beeinflussung. So wurde die Vermittlung von Gesundheitswissen hier politisch-ideologisch präsentiert, d.h. mit militärischen Bezügen, vor dem Hintergrund eines funktionalen Frauen- beziehungsweise Mutter-Verständnisses, sowie im Kontext eines systemkonformen „Volksbürgers“, der sich als gehorsamer und gesunder Teil des Volkskörpers zu verstehen hat.
Doreen Reifegerste, Sabrina Heike Kessler
Visuell präsentierte Belege werden in der Wissenschaftskommunikation nicht nur zur Veranschaulichung von wissenschaftlichen Zusammenhängen genutzt, sondern sie stehen mitunter auch stellvertretend für die Evidenz demonstrierter Sachverhalte und suggerieren Objektivität. Verschiedene (visuelle) Evidenzpraktiken können unterschieden werden, welche allerdings auch instrumentalisiert wurden und werden, um politische Strategien oder Ideologien zu legitimieren. Der Beitrag zeigt anhand unterschiedlicher visueller Evidenzen und Evidenzpraktiken in Gesundheitsausstellungen, wie diese in verschiedenen historischen Kontexten zur Wissenschaftskommunikation und politischen Instrumentalisierung eingesetzt wurden. Unsere explorative, historische Analyse zeigt, dass visuelle Evidenzen und Evidenzpraktiken gezielt für politische Propaganda unterschiedlicher politischer Systeme in Gesundheitsausstellungen des Deutschen Hygienemuseums Dresden eingesetzt wurden. Diese politische Instrumentalisierung visueller Evidenzen zeigt sich auch ganz aktuell in der Verbreitung von Falschinformationen zum Thema Impfen und COVID-19.
Internet-Intermediäre und virtuelle Plattformen medienökonomisch betrachtet
Verena Telkmann
Fernsehsender stehen vor der Herausforderung eines sich stark verändernden Rezipientenmarktes. Trotz der nach wie vor hohen Relevanz linearer TV-Nutzung steigt die Bedeutung der nicht-linearen Verbreitung von Bewegtbildinhalten (z.B. über Mediatheken). Basierend auf Interviews mit sieben Manager:innen deutscher öffentlich-rechtlicher Sender untersucht dieser Artikel die strategische Ausrichtung der Sender sowie das operative Programmmanagement für ihre Mediatheken. Die Untersuchung zeigt: Das lineare Fernsehen hat weiter einen wichtigen strategischen Stellenwert; gleichzeitig haben die Sender jedoch die Notwendigkeit des Ausbaus der Mediathek als non-linearer Kanal erkannt. Ein Großteil der Inhalte in den Mediatheken basiert nach wie vor auf dem linearen TV-Programm, wenn auch der Anteil bedarfsgerecht geplanter, primär non-linearer Produktionen langsam steigt.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde bereits im Heft 4/2021 der MedienWirtschaft veröffentlicht, es handelt sich um einen genehmigten Reprint.
Christian Schaarschmidt
Algorithmenbasierte Empfehlungsdienste stellen Zuschauer*innen im nichtlinearen Streaming individuell audiovisuelle Inhalte in einer Vorauswahl zusammen, die potenziell ihren Präferenzen entsprechen. Um die Präferenzen der Zuschauer*innen zu ermitteln, müssen die Anbieter solcher Dienste personenbezogene Daten wie z. B. das Sehverhalten erheben und auswerten. Zuschauer*innen müssen bei der Wahl eines personalisierten Angebots daher den Nutzen der Personalisierung gegen die Bedrohung ihrer Privatsphäre abwägen. In diesem Beitrag wird dieses „Privatheitskalkül“ von Zuschauer*innen aus einer medienökonomischen Perspektive untersucht. Im Fokus steht die Fragestellung, wie viel Personalisierung aus Sicht der Zuschauer*innen optimal ist und welche Auswirkungen heterogene Sensibilitäten der Datenpreisgabe, die Systemeffizienz sowie Reputation der Anbieter im vertrauensvollen Umgang mit personenbezogenen Daten auf das Kalkül der Zuschauer*innen haben. Aus den Ergebnissen werden zudem Implikationen für Geschäftsmodelle abgeleitet.
Dieser Beitrag wurde ebenfalls in der MedienWirtschaft veröffentlich: Schaarschmidt, C. (2021). Wie viel Personalisierung braucht der Bewegtbildmarkt aus Zuschauersicht? 18 (4), 30-37.
Meike V. Grimme
Die umstrittene Anwendung von Algorithmen im Journalismus bringt Herausforderungen auf verschiedenen Ebenen mit sich, auch auf Medienmanagement-Ebene. Da der Journalismus grundlegende Funktionen in Politik und Gesellschaft erfüllt, ist es essentiell, die Auswirkungen der Automatisierung auf die Funktionen des Journalismus stets neu zu reflektieren. Dieser Artikel zielt darauf ab, die Management-Herausforderungen des algorithmischen Journalismus zu identifizieren und aus einer Managementperspektive zu diskutieren, wie sie sich auf die journalistischen Funktionen auswirken könnten. Eine theoretische Analyse von Dörr & Hollnbuchner (2017) lieferte bereits einen Untersuchungsrahmen für ethische Herausforderungen des algorithmischen Journalismus. Durch eine systematische Literaturanalyse mit 39 Fachjournal-Artikeln bietet dieses Forschungsprojekt qualitative Unterstützung für diesen Untersuchungsrahmen und ergänzt ihn durch Management-Herausforderungen, die bei der Implementierung der Technologie in Medienredaktionen entstehen.
Hinweis: Dieser Artikel wurde bereits veröffentlicht in MedienWirtschaft, 4(2021), Special Issue "Internet-Intermediäre und virtuelle Plattformen medienökonomisch betrachtet", 18. Jahrgang. Hamburg: New Business Verlag
Gamze Musaoglu-Kilic, Petra Düren, Melanie Herfort
Der Boom in der Medien- und Bewegtbildbranche durch Streamingdienste wie Netflix verursacht nicht nur positive Veränderungen wie das Wirtschaftswachstum, sondern auch negative wie die Umweltbelastung. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit in der deutschen Filmwirtschaft unter ökologisch nachhaltigen Bedingungen produziert wird. Zunächst wird die Wertkette der Filmwirtschaft nach Wirtz vorgestellt. Auf Basis von leitfadengestützten Expert*inneninterviews, die im Juni 2021 durchgeführt wurden, werden die von Produktionsunternehmen umgesetzten grünen Maßnahmen in der Filmproduktion ermittelt. Zu diesem Zweck werden die Bundesländer Baden-Württemberg und Hamburg gegenübergestellt. Durch das langjährige Engagement der regionalen Filmförderungen in diesen Bundesländern gelten die dortigen grünen Entwicklungen als besonders fortschrittlich. Anschließend gilt es, mögliche Herausforderungen in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit in der deutschen Filmwirtschaft aufzudecken, die schließlich der Ableitung von Optimierungsvorschlägen für Unternehmen der Filmbranche dienen. Die Ergebnisse aus der qualitativen Forschung zeigen, dass bereits erste Schritte in Richtung grüne Filmproduktion realisiert wurden, aber noch Verbesserungspotenzial herrscht.
Sophia Gänßle, Björn A. Kuchinke
Der vorliegende Beitrag zeigt den beeindruckenden wirtschaftlichen Erfolg der Hörspielserie „Die drei ???“. Die Serie hat also nicht nur bei Fans Kultstatus inhaltlich erreicht, sondern erreicht mit rund 50 Millionen verkauften Tonträgern bzw. Verkaufseinheiten, einem Umsatz von etwa 260 Millionen Euro und einem Gesamtgewinn von rund 220 Millionen Euro in mehr als 39 Jahren wirtschaftliche Daten von international bekannten Musikstars. Statistisch und im Durchschnitt gesehen lässt sich also in jedem der rund 42 Millionen Haushalte in Deutschland im Jahre 2018 mehr als ein Tonträger der „Die drei ???“ finden. Die Erklärung des Erfolges der „Die drei ???“ ist mit Sicherheit vielfältig. Die Ergebnisse der Befragungen zeigen, dass ein hoher Anteil der Hörenden „Wiederholungstäter“ ist. Diesem Verhalten liegen insbesondere und im weitesten Sinne nostalgische Aspekte und Erinnerungen zugrunde. Ein Einflussfaktor hierfür ist offenbar die seit Beginn an gleichen Stimmen die Hauptcharaktere. Ein weiterer die im Prinzip inhaltlich ähnliche Konstruktion der einzelnen Folgen, die eine Vertrautheit mit den Charakteren bewirkt und auch den Wiedereinstieg in die Reihe wesentlich erleichtert. Die Gründe, warum viele Hörerende den nostalgischen Aspekt suchen und offenbar in ihrem jungen Erwachsenensein benötigen, scheinen die Lebensumstände zu sein. Dies mag auch die zentrale Begründung dafür sein, warum viele der Nutzenden die Hörspiele zum besseren Einschlafen nutzen.
Jonas Weber, Christopher Buschow, Andreas Will
Medienplattformen kommt eine wachsende Bedeutung bei der Distribution von Inhalten zu. Bisher liegen jedoch kaum Studien vor, die die Eigenschaften von Plattformen unterschiedlicher Sektoren der Medienbranche (Bewegtbild, Musik, Journalismus usw.) miteinander vergleichen. Die vorliegende Studie untersucht sieben auf dem deutschen Markt aktive Journalismusplattformen anhand unterschiedlicher Dimensionen und setzt sie in Relation zu Netflix und Spotify. Dafür wurde eine qualitative Analyse der Angebote vorgenommen, um zu überprüfen, inwiefern Spotify und Netflix eine Referenzfunktion für Journalismusplattformen haben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Netflix und Spotify in Bezug auf Preis und Interface eine Vorbildrolle für Journalismusplattformen einnehmen, diese jedoch ihr Bundle von Inhalten nach anderen Prinzipien generieren und zusammenstellen.
Anna Zimmermann
Paid Content ist im Erlösmodell deutscher Lokalzeitungsverlage zu einem wichtigen Baustein geworden. Während sie auf dem Online-Anzeigenmarkt mit Konzernen wie „Meta“ konkurrieren, setzen traditionelle Medienunternehmen ihre Hoffnungen zunehmend auf den Rezipient*innenmarkt. Dieser Beitrag untersucht am Beispiel von Facebook, ob und wie sie die Reichweiten digitaler Plattformen nutzen, um Nachteile durch Verluste auf dem Anzeigenmarkt zu kompensieren. Im Fokus steht die Frage, inwiefern Paid Content gekennzeichnet und beworben wird, um Nutzer*innen von Facebook auf die eigene Webseite zu locken. Ausgehend von plattformökonomischen sowie organisationstheoretischen Betrachtungen des Verhältnisses zwischen Journalismus, Medien und digitalen Plattformen wurden mittels quantitativer Inhaltsanalyse 525 Facebook-Posts 15 regionaler Zeitungen untersucht. Die Ergebnisse zeigen: Paid Content wird mittlerweile neben kostenlosen Inhalten über Intermediäre verbreitet. In der Mehrzahl der Posts war Paid Content verlinkt und gekennzeichnet. Dazu werden häufig Logos verwendet. Faktoren wie Regionalität und Hinweise auf einen inhaltlichen Mehrwert des verlinkten Artikels sind nicht bzw. nur unwesentlich häufiger zu finden als in anderen Beiträgen. Die Exklusivität der Inhalte wird hingegen insbesondere in Paid-Content-Posts betont.
Miriam Bernhard, Britta M. Gossel, Andreas Will
Zukunftstechnologien üben schon seit geraumer Zeit Transformationsdruck auf Medienorganisationen aus (Küng, 2008). Medienorganisationen sind daher gezwungen, gezielt zu reagieren, sich zu verändern und zu lernen. Ein theoretisches Konstrukt, das diesen Prozess erklärt, ist die Theorie des organisationalen Lernens (OL) (Senge, 2006). In der allgemeinen Managementforschung ist OL bereits ein etablierter theoretische Ansatz (Dick, 2005), bei Medienorganisationen wurde OL bislang kaum erforscht (Bernhard & Will, 2021). Die strategische Orientierung der Organisation stellt eine Möglichkeit zur Förderung des OL dar (Seçkin-Halaç, 2019). Insbesondere die strategische Technologieorientierung (TO) könnte in Anbetracht von Zukunftstechnologien hilfreich für OL sein (ebd.). Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieser Beitrag mit der folgenden Frage: Besteht ein Zusammenhang zwischen der Technologieorientierung (TO) und dem organisationalen Lernen (OL) in Medienorganisationen? Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine explorative Onlineumfrage (Zeitraum: Dez. 2020 bis Jan. 2021) unter deutschen Medienmanager*innen (N=46) durchgeführt. Für die Untersuchung wurden die Instrumente von Hakala & Kohtamäki (2011) für die TO und von Marsick & Watkins (2003) für das OL übernommen. Die Umfragedaten wurden mithilfe der Rangkorrelation nach Spearman analysiert. Kernergebnis der Untersuchung ist, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen TO und OL besteht.
Per Ole Uphaus, Naomi Nowak, Harald Rau, Björn Beringer
Absatzprobleme, Konzentrationsprozesse, Digitalisierung: Der Druck auf traditionelle Medienunternehmen ist vielfach beschrieben. Journalistische Routinen sind ohne digitale Werkzeuge nicht vorstellbar und aus technischer Sicht rückt das Thema SoLoMo (social, local, mobile) in den Blickpunkt. Standorterfassende Dienste (‚Location-based Services‘, kurz LBS) liefern eine entscheidende Technologie. Dies macht sie für Nachrichtenmedien interessant, weil auch Nutzer nun eigene SoLoMo-Inhalte erstellen können, sie liefern so den entscheidenden Baustein für erfolgreiche, mediale Partizipation. In den traditionellen Medien schlägt sich kaum nieder, dass Nutzer selbst zu Kommunikatoren im lokalen Umfeld werden. Dieser Beitrag will mittels eines zweistufigen Delphi-Verfahrens deshalb auch partizipative LBS-Anwendungen und damit zusammenhängende Herausforderungen, Lösungsansätze und den zukünftigen Forschungsbedarf identifizieren. Die Ergebnisse zeigen: Augmented Reality wird hohes Partizipationspotenzial zugeschrieben – insbesondere in Kombination mit Gamification-Ansätzen und virtuellen Datenbrillen. Die Experten sehen zudem großes Potenzial in einer frei zugänglichen Plattform als zentrale Datenbasis für lokale und regionale Informationen, die es Nutzern ermöglicht, selbst eigene mediale Inhalte bereitzustellen. Zudem bewerten sie die direkte Beteiligung der Nutzer am Entwicklungsprozess als wichtigen Schritt im Sinne der Partizipation.
Steffen Heim, Sylvia Chan-Olmstedt, Claudia Fantapié Altobelli, Michael Fretschner, Lisa-Charlotte Wolter
Während globale Werbeausgaben kontinuierlich steigen und wissenschaftliche Publikationen Beweise für den Einfluss des Medienumfelds auf den Werbeerfolg präsentieren, wird das Verständnis für das Vertrauen in Medienmarken und die Möglichkeit dieses zu managen und zu messen immer relevanter. Entgegen der Relevanz dieses Bereiches gibt es weder eine stichhaltige Definition der Medienmarke, noch eine etablierte Methode das Vertrauen in Medienmarken und damit verbundener Einflüsse des Halo Effects in der digitalen Werbeindustrie zu messen. In dieser Publikation wird ein Beitrag zur Medienforschung und -praxis präsentiert, der ein konzeptuelles Modell des Vertrauens in Medienmarken entwickelt und einen Ausblick auf weiter Forschungsvorhaben im Rahmen der Entwicklung einer Media Brand Trust Scale aufzeigt. Die Skala wird für Medienmarken und Werbetreibende entwickelt, um das Vertrauen in die Marke zu messen und die Mediaplanung zu optimieren. Der Beitrag fokussiert die Definition des Konstrukts “Medienmarke” basierend auf einer umfassenden Literaturrecherche, die Erforschung der Media Economics Theory zur Beschreibung von Konsumenteneffekten und die Untersuchung der Verbindung dieser Effekte mit bewussten und unbewussten Reaktionen von Konsumenten auf Werbekontakte im Rahmen der Forschung zur Verhaltensökonomie und Psychologie. Abschließend wird ein konzeptuelles Modell präsentiert, das die Effekte von Vertrauen in Medienmarken auf digitale Werbekampagnen darlegt.
Reinhard E. Kunz, Alexander Roth, Verena Telkmann, Christian Zabel
Virtual Reality (VR) nimmt in Bezug auf Nutzung und Erlöse einen immer wichtigeren Teil innerhalb des Videospielsegments ein. Die Videospielbranche hat sich als neuer Wirtschaftsbereich in der Medien- und Unterhaltungsbranche etabliert und zeichnet sich durch die Zusammenarbeit verschiedener Branchenakteure und deren Beziehungen aus. Eine genaue Beschreibung der Wertschöpfung in diesem Ökosystem ist allerdings noch nicht vorhanden. Die Service-Dominant Logic ist ein geeigneter Ansatz, um die Interaktion verschiedener Akteure bei der Schaffung von Wert holistisch zu untersuchen. Der Fokus einer Betrachtung von Wert als Service liegt auf dem Austausch von Leistungen zwischen Akteuren. Der wissenschaftliche Beitrag dieser Studie besteht neben der theoretischen Konzeptualisierung des Service Value in seiner empirischen Exploration im VR-Gaming-Kontext. Zudem sollen auch erste Erkenntnisse für die Operationalisierung des Service-Value-Konzepts geliefert werden. Insgesamt lässt sich durch die Exploration erkennen, dass eine eindeutige Interpretation der Schaffung von Service Value durch verschiedene Akteure im Service-Ökosystem nur kontextspezifisch möglich ist. Folglich ermöglicht diese Konzeptualisierung zukünftige quantitativ-empirische Forschung, die anwendungsspezifisch neue Erkenntnisse hinsichtlich eines multiattributiven Service-Value-Konzepts generiert, um im medienökonomischen Sinn handlungsfähig und innovativ zu sein.
Barbara Brandstetter, Jan Krone, Juliane A. Lischka
Tageszeitungsverlage im deutschsprachigen Raum stehen weiterhin vor großen Herausforderungen die digitale Transformation zu meistern. Dabei müssen die Medienhäuser insbesondere auch den Wandel von einer analogen zu einer digitalen Vertriebsorganisation bewerkstelligen. Die Wahl der Vertriebswege ist eng an die normativen Aufgaben von Journalismus geknüpft, Öffentlichkeit herzustellen, in der gesellschaftliche Diskurse effektiv geführt werden können. Dieser Beitrag beschreibt die analoge sowie die digitale Vertriebsorganisation mit einem Fokus auf verlagseigenen Vertrieb am Beispiel von automatisierten Recommender-Systemen sowie verlagsfremden Vertrieb in Form von neuen Intermediären wie Online-Kiosken, Social Media-Plattformen, Suchmaschinen sowie Service-Intermediären. Damit legt das Kapitel eine Grundlage zum Entwurf einer digitalen Vertriebsmatrix zum Erhalt der gesellschaftlichen Funktion tagesaktueller Verlagsmedien.
Marc-Christian Ollrog, Megan Hanisch
Der Journalismus steckt inmitten seiner digitalen Transformation. Neben neuen Produkten und Prozessen betrifft diese vor allem neue Geschäftsmodelle. Eins davon lautet Paid Content. Auch lokale und regionale Medienhäuser nutzen Paywall-Strategien, um wettbewerbsfähig zu bleiben und einen besonderen Nutzen anzubieten. Lokale Information und Wissen über den eigenen Lebensort haben eine hohe Bedeutung und bieten an sich bereits einen hohen Alltagsnutzen. Der Begriff des Nutzwertes wurde in dieser Arbeit als zentrales Konstrukt herangezogen. Die Analyse zeigt, dass Paid Content tatsächlich einen höheren Nutzwert bietet als kostenfrei verfügbare Inhalte und worin genau dieser besteht. Untersucht wurde dies mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse von 140 Plus-Artikeln und 140 kostenfreien Artikeln der Braunschweiger Zeitung, Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, Neuen Osnabrücker Zeitung, Rheinischen Post im Zeitraum von Januar bis August 2020.
Nadine Lindstädt-Dreusicke, Elke Theobald, Oliver Budzinski, Victoriia Noskova
Die Studie untersucht das Werbespending-Verhalten von Werbetreibenden für Bewegtbildwerbung in klassischen und digitalen Werbekanälen. Der Schwerpunkt bisheriger Veröffentlichungen zu Video-Werbeplatzierungen liegt in den zyklisch erscheinenden Analysen zum aktuellen und geplanten Werbespending-Verhalten der Werbetreibenden. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie hingegen erschließen die Einstellungen und präferierte Nutzung verschiedener Werbekanäle für die Platzierung von Bewegtbildwerbung. Die Ergebnisse zeigen, dass mehr Werbetreibende Bewegtbildwerbung auf digitalen Plattformen nutzen als im klassischen Fernsehen. Dabei haben insbesondere die Social-Media-Kanäle (z.B. Instagram, Facebook) eine große Bedeutung, gefolgt von der eigenen Website und digitalen Videoportalen wie YouTube oder Vimeo. Bei den Kommunikationszielen und den Motiven für die Kanalwahl zeigen sich deutliche Unterschiede beim Einsatz von digitalen Plattformen und der Nutzung von traditionellem TV. Grundsätzlich schätzen TV-Werbetreibende (= Einsatz von unter anderem klassischem TV für Bewegtbildwerbung) und digitale Werbetreibende (= ausschließliche Nutzung digitaler Bewegtbildkanäle für Platzierungen) die Effizienz und Bedeutung der Online- und Offline-Kanäle unterschiedlich ein, was letztendlich zu einer differenzierten Relevanzeinschätzung der Online- und Offline-Werbekanäle führt. Hieraus leitet der Artikel schließlich Managementimplikationen für Medienunternehmen ab.
Gesundheitskommunikation in Zeiten der COVID-19-Pandemie
Celine Dorrani, Annabelle Betz, Aaron Philipp, Carolin Redenz, Lara Fé Waßmann, Freya Sukalla
Soziale Medien bieten Menschen mit psychischen Erkrankungen die Möglichkeit, das öffentliche Bild ihrer Krankheit zu gestalten und stereotypen Darstellungen entgegenzuwirken. In dieser Studie untersuchen wir, wie Instagram-Nutzende sich Sick-Style-Posts, d. h. die ästhetisierte und inszenierte Darstellung psychischer Krank- heiten, aneignen, um herauszufinden, ob und welche Art von Sick-Style zur Entstigmatisierung beitragen oder möglicherweise zu einer noch stärkeren Stigmatisierung führen könnte. Auf der Grundlage von 18 qualitativen Interviews wurden vier Arten der Sick-Style-Aneignung identifiziert: Befürworter:innen, Gegner:innen, distanzierte und überforderte Nutzer:innen. Die Ergebnisse zeigen Entstigmatisierungspotential für verschiedene Typen der Sick-Style-Aneignung sowie für verschiedene Formen des Sick Styles, weisen aber in einigen Fällen auch auf die Gefahr einer stärkeren Stigmatisierung hin.
Alexander Röhm, Cosima Nellen, Michélle Möhring, Matthias R. Hastall
Comics bieten ein vielversprechendes, aber bislang kaum genutztes Potenzial für die Kommunikation von Gesundheitsinformationen. Über die Wirkung von Comics bei der Aufklärung über psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout ist wenig bekannt. Depressionen werden von Laien oft als Burnout bezeichnet, was zu einer geringeren Stigmatisierung der Betroffenen, aber auch zu einer Verharmlosung depressiver Symptome führen kann. In der vorliegenden Studie (N = 1.201) wurde untersucht, wie das Geschlecht des Fallbeispiels und zusätzliche Sachinformationen in Comics die Stigmatisierung der Rezipierenden gegenüber Betroffenen beeinflussen und welche Rolle kognitive Prozesse dabei spielen. Die Ergebnisse bestätigen die destigmatisierende Wirkung des Burnout-Labels im Vergleich zu einem Depressions-Label. Die beobachteten Effekte sind jedoch von geschlechtsspezifischen Wahrnehmungen und in gewissem Maße von kognitiven Prozessen bei der Bildung stigmatisierender Einstellungen abhängig. Implikationen für die strategische Anti-Stigma- und Gesund-heitskommunikation werden diskutiert.
Markus Schäfer
Der NDR-Audio-Podcast „Das Coronavirus-Update“ war in der COVID-19-Pandemie ein besonders erfolgreiches Format des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das das Ziel verfolgte, mit Hilfe von Gesundheitsexpert:innen wissenschaftliche Erkenntnisse einem breiten Laienpublikum verständlich zu vermitteln. Der vorliegende Beitrag widmet sich auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse der Transkripte von 113 Podcast-Folgen subjektiven Medientheorien im Podcast und fragt, inwieweit im Rahmen des Formats Vorstellungen zu a) Medieninhalten, deren b) Entstehungsbedingungen und c) Wirkungen vermittelt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass subjektive Medientheorien im Podcast regelmäßig formuliert wurden, wobei häufig ein tendenziell negatives Medienbild gezeichnet und ein starker Einfluss der Medieninhalte auf die öffentliche Meinung und das politische Handeln angenommen wurde.
Sophia Schaller, Annemarie Wiedicke, Doreen Reifegerste, Linn Temmann
Die Untersuchung der Wirkung von Responsibility Frames in sozialen Medien zum Thema Depressionen ist von hoher Relevanz für die Kommunikationswissenschaft. Dies ergibt sich daraus, dass mediale Verantwortungs-zuschreibungen Folgen für die (Ent-)Stigmatisierung der psychischen Störung haben können. Der Beitrag untersucht die Wirkung dreier Responsibility Frames (individuell, soziales Netzwerk, kombiniert) in Instagram-Posts zu Depressionen auf die Verantwortungszuschreibungen der Rezipierenden und erweitert damit die bestehende Forschung. Das Online-Experiment (N = 1.015) zeigte erstens, dass in Inhalten sozialer Medien solche Responsibility Frames, die die Verantwortung sozialer Einflüsse (soziales Netzwerk) für Depressionen betonen, soziale Zuschreibungen am effektivsten stärken. Der individuelle Responsibility Frame intensivierte hingegen die Auffassung, dass Betroffene selbst verantwortlich sind am meisten. Entgegen bisherigen Erkenntnissen zu anderen Gesundheitsproblemen zeigte unser Experiment zweitens, dass eine Kombination beider Frames in Instagram-Posts die Verantwortungszuschreibungen zu sozialen Einflüssen nicht am effektivsten intensiviert und gleichzeitig die Zuschreibungen zum Individuum erhöht. Am Ende werden Implikationen für die (Ent-)Stigmatisierung von Depressionen durch Responsibility Frames sozialer Medien abgeleitet. So könnte man im Kontext sozialer Medien vor allem mit Frames des sozialen Netzwerks der Stigmatisierung von Depressionen entgegenwirken.
Paula Memenga1, Jacqueline Posselt2, Elena Link1 & Eva Baumann1
Gesundheitsinformationen bilden die Grundlage für einen selbstbestimmten und kompetenten Umgang mit der eigenen Gesundheit. Die Nutzung von gesundheitsbezogenen Informationskanälen als Teil des individuellen Informationshandelns erfordert wiederum entsprechende (digitale) Gesundheitskompetenz. Obwohl beide Konstrukte verwandt scheinen, fehlt es bisher an einer theoriebasierten sowie empirischen Bestimmung ihrer Beziehung. Die vorliegende Studie exploriert deshalb, wie (digitale) Gesundheitskompetenz mit Gesundheitsinformationshandeln in Form der Nutzung verschiedener gesundheitsbezogener Informationskanäle zusammenhängt. Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine nach Alter, Geschlecht, Bildung und Region stratifizierte Querschnittsbefragung der deutschen Bevölkerung (N = 1.000) durchgeführt, die im Juni 2020 über ein Online-Access-Panel erhoben wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass Personen mit höherer wahrgenommener (digitaler) Gesundheitskompetenz tendenziell häufiger gesundheitsbezogene Informationskanäle nutzen. Die Erklärleistung der wahrgenommenen Kompetenzen war jedoch begrenzt. Der Beitrag diskutiert mögliche Ursachen, zu denen beispielsweise die Art der Messung zählt, und arbeitet Anschlussperspektiven der Forschung heraus.
Isabell Koinig
Während der COVID-19-Pandemie wurden vermehrt psychische Erkrankungen gemeldet, die besonders Jugendliche und junge Erwachsene betrafen. Folglich suchten diese verstärkt Unterstützung in den sozialen Medien, wo sie auf Posts von sogenannten Mental Health Influencer:innen (MHIs) trafen, die ihren Follower:innen Unterstützung (social support) bei der Bewältigung von mentalen Problemen anbieten. Der vorliegende Beitrag untersucht, wie MHIs Inhalte zu psychischen Erkrankungen auf Instagram präsentieren und welche Form von Unterstützung sie ihren Follower:innen anbieten. Um diese Fragen zu beantworten, wurde eine quantitative Inhaltsanalyse ausgewählter Instagram-Posts durchgeführt. Insgesamt wurden Beiträge von 40 Mental Health Influencer:innen ausgewählt. Die Inhaltsanalyse einer Zufallsstichprobe (n= 268) zeigte, dass die meisten MHIs auf Bilder und nicht auf Videos setzen, wenn sie mentale Gesundheit thematisieren. Der Großteil der Posts enthielt Textpassagen, und wurde von MHIs dazu verwendet, um ihre Follower:innen entweder zu motivieren oder ihnen Informationen zu liefern. Die Ergebnisse zeigen, dass MHIs besonders auf Textelemente setzen um ihre Follower:innen zu unterstützen, obwohl Instagram eigentlich eine bildbasierte Plattform darstellt.
Eva Graf, Paula Stehr
Die Homöopathie zählt zu den bekanntesten und verbreitetsten komplementären Therapiemethoden in Deutschland. In starkem Kontrast zu den hohen Nutzendenzahlen steht der fehlende Wirksamkeitsbeleg für diese Therapieform. Massenmedien stellen eine häufige Informationsquelle für Gesundheitsfragen in der deutschen Bevölkerung dar, woraus ein hoher Qualitätsanspruch an den Medizin- und Gesundheitsjournalismus resultiert. Ziel des vorliegenden Beitrags ist, die gesundheitsjournalistische Qualität von Print- und Online-Artikeln (N = 176) über Homöopathie in ausgewählten deutschen Medienangeboten zu untersuchen. Die Auswertung der quantitativen Inhaltsanalyse zeigt, dass die Stärken der Homöopathie-Berichterstattung vor allem in der sachlichen und verständlichen Darstellung liegen. Schwächen zeigen sich hinsichtlich des Hinweises auf die ausschließliche Placebo-Wirkung von Homöopathie und der mangelnden Darlegung der Evidenzlage. Die Homöopathie wird insgesamt relativ neutral dargestellt. Problematisch ist die Verwendung irreführender Begrifflichkeiten wie „alternativ“ oder „natürlich“ zur Beschreibung der Homöopathie.
Anna Wagner, Doreen Reifegerste
In Gesundheitskrisen wie der COVID-19-Pandemie stellt die massenmediale Berichterstattung eine zentrale Informationsquelle dar. Sie wird dabei nicht nur individuell genutzt und verarbeitet, sondern auch gemeinsam rezipiert, im sozialen Umfeld besprochen oder in Sozialen Medien diskutiert. Wie sich die interpersonale Kommunikation über pandemiebezogene Berichterstattung gestaltet, ist jedoch selten beforscht worden. Der Beitrag widmet sich daher der Anschlusskommunikation zur Medienberichterstattung in der COVID-19-Pandemie. In einer qualitativen Interviewstudie mit 22 Teilnehmenden fragen wir nach (a) Kommunikationspartner:innen, (b) den kommunikativen Rollen innerhalb der Anschlusskommunikation, (c) den Funktionen der Anschlusskommunikation sowie (d) nach potentiellen Veränderungen im Zeitverlauf. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anschluss-kommunikation (a) insbesondere mit Familie und Freund:innen im direkten sozialen Umfeld stattfindet, aber auch zur Entstehung neuer Beziehungen beiträgt. Sie erfolgt (b) vor allem auf Augenhöhe, sodass die Rolle der Austauscher:innen dominiert, wobei manche Personen als Multiplikator:innen fungieren. Die Anschluss-kommunikation erfüllt (c) die Funktion des Teilens und Erhaltens von Informationen, der Informationsvalidierung und gemeinsamen Wahrheitssuche sowie dem Coping mit negativen Emotionen. Veränderungen im Zeitverlauf (d) sind vor allem mit Blick auf das (Themen-)Interesse und die Kommunikationsrollen zu beobachten.
Doreen Reifegerste, Nanette Ströbele-Benschop, Markus Schäfer,
Jens Vogelgesang
Die Zeit der COVID-19-Pandemie war eine Spezialzeit, die von einem großen Wunsch nach einer Rückkehr zur „Normalzeit“ (d. h. gewohnten Abläufen) geprägt war. Dieser Wunsch ist uns auch im Zusammenhang mit anderen Gesundheitsthemen nicht unbekannt. Entsprechend lautete der Tagungstitel der 6. Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation „NDR-Podcast, AHA-Regel & #WirBleibenZuhause: Gesundheits-kommunikation in Zeiten der Pandemie - und danach...“. Sie fand vom 17. bis 19. November 2021 als Onlinetagung an der Universität Hohenheim statt. Neben einer thematischen Einführung geben wir hier einen kurzen Überblick über die elf Beiträge, die uns einerseits Erkenntnisse über diese Spezialzeit vermitteln, andererseits aber auch Themen der Gesundheitskommunikation aufgreifen, die auch in Normalzeiten speziell sind.
Mara Berlekamp, Doreen Reifegerste, Linn Julia Temmann, Dominik Daube
Mediale Responsibility Frames können beeinflussen, wie Menschen über Gesundheitsthemen wie Demenzen denken. Obwohl sich die bisherige Forschung auf die Untersuchung textueller Frames konzentriert, können auch visuelle Inhalte Frames enthalten, die die Wirkung medialer Inhalte auf Rezipierende beeinflussen können. Visuelle Frames können somit hilfreich zur effektiven Gestaltung medialer Gesundheitsbotschaften sein. Die vorliegende Studie untersucht die Wirkung visueller Responsibility Frames auf verschiedenen Verantwortungsebenen im Kontext von Demenzen auf Verantwortungsattributionen und Verhaltensintentionen Rezipierender. Ein repräsentatives Online-Experiment (N = 1,059) zeigt, dass das reine Vorhandensein eines visuellen Responsibility Frames, unabhängig von der Ebene, auf der Verantwortung zugeschrieben wird, die Zuschreibung von Verantwortung bei Rezipierenden erhöht. Es zeigen sich keine signifikanten Effekte der visuellen Frames auf Verhaltensintentionen.
Christine Linke1, Ruth Kasdorf1,2 & Maria Wiering2
Die Repräsentation chronischer Erkrankungen in audiovisuellen und sozialen Medien ist ein bis dato wenig systematisch erfasstes Themenfeld der Gesundheitskommunikation. Der Beitrag stellt eine Studie vor, die diesen Aspekt mittels einer qualitativen Medieninhaltsanalyse empirisch exploriert. Es wurde ein Sample aus den Bereichen Film/TV/Streaming, Soziale Medien und Videospiele anhand von Spezifika, Relevanz, Verfügbarkeit sowie Aktualität ausgewählt und analysiert. Die untersuchten Medieninhalte weisen kaum stereotype Darstellungen, Stigmatisierung oder Tabuisierung chronischer Erkrankungen auf. Es wurden künstlerisch und gestalterisch innovative Formen der Darstellung erfasst. Deutlich wird, besonders im Bereich klassisch-audiovisueller Formate, dass die Beziehung Betroffener zu Angehörigen beziehungsweise zu Unterstützer:innen mit im Fokus der Narrationen steht. Die explorativen Ergebnisse bieten einen ersten Zugang zum Thema, dem weitere Studien folgen sollten.
Robin Leuppert & Elena Link
Informationsnormen stellen einen zentralen Einflussfaktor auf die Suche und Vermeidung von Informationen dar. Eine kombinierte Betrachtung von such- und vermeidungsbezogenen Informationsnormen als verschiedene Einflüsse auf Informationshandeln ist bislang jedoch nicht erfolgt. Zudem wurde kaum erforscht, inwieweit unterschiedliche Normtypen (deskriptive und injunktive Norm) und Bezugsgruppen bei der Betrachtung von Normeffekten auf Informationshandeln notwendig sind. Im Rahmen einer Längsschnittbefragung (N = 493) mit vier Wellen werden dazu mittels konfirmatorischer Faktoranalysen drei Normkonzepte verglichen. Dann wird der Einfluss verschiedener Informationsnormen auf Informationssuche und -vermeidung zu COVID-19 anhand von hybriden Within-Between Modellen betrachtet. Die Ergebnisse zeigen, dass keines der geprüften Normkonzepte zur Differenzierung von COVID-19 Informationsnormen geeignet ist. Bei der Betrachtung der Normeffekte auf Single Item Ebene zeigt sich, dass Suchnormen die Suche und Vermeidungsnormen die Vermeidung von Informationen stärker beeinflussen. Das persönliche Umfeld ist als Bezugsgruppe einflussreicher als die Gesellschaft. Deskriptive und injunktive Normen sind (unabhängig von der Bezugsgruppe) ähnlich bedeutsam. Auf der Within-Ebene lassen sich vielfältige Effekte feststellen, wobei die Normeffekte auf der Between-Ebene stärker sind. Die Studie biete somit Ansatzpunkte für ein detailliertes Verständnis von Normeffekten auf Informationshandeln.
Reorganization of Media Industries: Digital Transformation, Entrepreneurship, and Regulation
Greta Gober, Anna Jupowicz-Ginalska
In den letzten Jahrzehnten hat sich der Begriff der Vielfalt in den Medien von einer traditionellen Definition, die auf psycho-soziodemografischen individuellen Unterschieden beruht, zu einer Definition entwickelt, die Polyphonie und Pluralität der Stimmen betont. Am Beispiel des schwedischen Rundfunks lässt sich der paradoxe Charakter dieser Entwicklung veranschaulichen. Während die Leitung des Senders daran arbeitet, Vielfalt als Vielstimmigkeit zu managen, erheben ehemalige und derzeitige Mitarbeiter des schwedischen Rundfunks einen öffentlichen Appell, in dem sie den Rassismus im Sender anprangern und damit das aufdecken, was Wissenschaftler als das Paradoxon von Vielfalt und Integration in den Medien bezeichnen. Mithilfe einer gemischten Methodik aus quantitativer und qualitativer Forschung, einschließlich 11 Tiefeninterviews mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern des schwedischen Rundfunks, ziehen wir theoretische Anregungen aus der ethnografisch inspirierten Organisationsforschung heran, um zu argumentieren, warum das Erreichen von "Vielfalt als Vielstimmigkeit" im und durch den Journalismus unmöglich erscheint. Wir leisten einen Beitrag zur Forschung über Epistemologien der journalistischen Nachrichtenproduktion, Nachrichtenvielfalt und die Rolle der Medien in demokratischen Gesellschaften.
Meike Grimme
Artificial intelligence (AI) is increasingly becoming part of many processes in the news media industry. It is seen as highly relevant for speeding up workflows and content personalisation. At the same time, the introduction of AI is having a strong impact on workflows, trust, roles and responsibilities of the professional newsworkers, who are consequently often reluctant to collaborate with the new, intelligent technology. These case study analyses investigate with an HMC (human-machine communication) lens how to create conditions for supporting and improving professional-AI collaboration. Besides identifying relevant drivers, existing overlaps of human-machine collaboration theory and other theoretical fields as well as practical measures for management and AI providers to promote professional-AI collaboration in the newsroom will be uncovered. The results highlight (1) comprehensibility of the AI, (2) the AI’s benefits and (3) knowledge sharing as most important drivers. The study introduces furthermore concrete indications for future research.
Adriana Mutu
The allocation of state advertising to private media corporations in Europe: legal and regulatory frameworks
This study introduces a cross-country comparative analysis of the institutional mechanisms, legislative and regulatory procedures for allocating and distributing state institutional advertising to private news media organisations across nine European countries. I provide an assessment of the extant frameworks in Austria, Denmark, Germany, Finland, France, Norway, Spain, Sweden and Switzerland, based on an extensive review of the academic literature. This cluster of countries represents the two models for media systems conceptualised by Hallin and Mancini (2004): the Polarised Pluralist and the Democratic Corporatist media systems. Various research questions are raised in relation to the main variables identified for the comparative analysis: legal and regulatory frameworks; the competent authorities; tender preparation and awarding; monitoring and enforcement; and transparency. Data was collected from multiple publicly national and international sources. Results show significant variations between countries in the level of institutional transparency regarding the allocation and distribution of state institutional advertising.
Katharina Willbold, Uwe Eisenbeis, Magdalena Ciepluch
Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Jahren zu einer der bedeutendsten Technologien entwickelt. Angesichts der symbiotischen Verbindung zwischen Medienbranche und technologischem Fortschritt sowie dessen weitreichenden Auswirkungen insbesondere auf die Wertschöpfungskette, hat dieser Beitrag das Ziel, den Einsatz von KI und deren Anwendungen im Rahmen der Wertschöpfungsketten der zehn größten deutschen Medienunternehmen zu betrachten. Fasst man die wichtigsten Erkenntnisse zusammen, so sind im Untersuchungszeitraum die Wertschöpfungsstufen Beschaffung von Inhalten sowie Distribution die Wertschöpfungsstufen, die in den untersuchten Medienunternehmen am stärksten von KI betroffen sind. Die häufigsten Anwendungsfälle sind Vorlesefunktionen, Sprachassistenten und Chatbots (als Teil der Wertschöpfungsstufe Distribution). Natural Language Processing sowie Sprachassistenten und Speech Recognition sind die KI-Technologien, die insgesamt in den untersuchten Unternehmen zum Untersuchungszeitpunkt am häufigsten eingesetzt werden. ProSiebenSat.1, Bertelsmann, Axel Springer sowie ARD sind die Unternehmen, die im Untersuchungszeitraum hinsichtlich KI-Einsatz am bereitesten aufgestellt sind – breit sowohl hinsichtlich der betroffenen Wertschöpfungsstufen, als auch hinsichtlich der Vielfalt an unterschiedlichen eingesetzten KI-Technologien.
Holger Sievert, Florian Meißner, Sofia Matt und Castulus Kolo
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung, die Nachhaltigkeitsmanagement für die anstehende weitere Reorganisation der Medienwirtschaft haben kann. Dazu wurde in zwei explorativen Studien einerseits die „interne“ Selbstberichterstattung verschiedener Industrien in Bezug auf Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen untersucht, andererseits die „externe“ Medienberichterstattung zu diesem Thema. Beide Studien liefern interessante Einblicke, die sowohl in Bezug auf Nachhaltigkeitskommunikation als auch auf Nachhaltigkeitsmanagement interessante neue Erkenntnisse liefern. Besonders deutlich werden diesbezüglich zahlreiche Defizite bezogen auf die kritische Selbstreflexion gerade in der Medienindustrie.
Ute Rademacher
Dieser Beitrag analysiert die Lehrerfahrungen in digitaler Lehre im Bereich von Media Management. Die Analyse vergleicht zwei studentische Praxisprojekte an einer deutschen Hochschule für angewandte Wissenschaften, welche jeweils eine Fragestellung eines unternehmerischen Kooperationspartners untersuchten. Der Vergleich des Präsenzprojektes mit dem strukturell vergleichbaren digitalen Projekt gibt wertvolle Hinweise auf die Herausforderungen der digitalen (und hybriden) Bildung im Bereich des Media Management sowie Anregungen für Verbesserungen in der zukünftigen Lehre.
Udo Bomnüter1, Brigitte Kleinselbeck1, Heiko Reusch1, Hendrik Schmidt2
Gemäß der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie führen kognitive und emotionale Prozesse zu irrationalem Anlageverhalten. In unserer Studie untersuchen wir, wie spezifische Biases mit zwei aktuellen, Social-Media-bezogenen Erscheinungen interagieren: Die Angst, etwas Wesentliches zu verpassen ("Fear of missing out", FOMO), und Gamification. Dieser Zusammenhang ist besonders relevant für Nutzer von „Neo-Broker“-Apps wie Robinhood, die sich bei jungen Zielgruppen großer Beliebtheit erfreuen. Es liegen bereits einige Studien zu FOMO und Gamification vor. Allerdings gibt es bisher keine Forschung, welche die beiden Faktoren kombiniert und mit irrationalem Anlageverhalten in Verbindung bringt. Der Kontext der Neo-Broker-Plattformen bietet ein geeignetes Forschungsumfeld, weil diese eng in das Social-Media-Ökosystem eingebettet sind. Unsere Untersuchung zielt darauf ab, herauszufinden, wie sich Gamification und FOMO auf das Anlageverhalten von Neo-Broker-Usern auswirken. Die Ergebnisse deuten auf einen signifikanten, moderaten Effekt hin, welcher irrationale Tendenzen bei deutschen Privatanlegern verstärkt.
Ralf Spiller, Jan Niklas Kocks
Castells' (2001) Netzwerkgesellschaft hat sich zunehmend in eine Plattformgesellschaft verwandelt (van Dijck, Poell, de Waal, 2018). Aus demokratietheoretischer Perspektive müssen die großen Tech-Plattformen fünf wesentliche Anforderungen erfüllen, um eine Öffentlichkeit zu ermöglichen, die Voraussetzung für eine funktionierende demokratische Gesellschaft ist. Bislang haben die großen digitalen Tech-Plattformen diese Anforderungen nicht oder nur unzureichend erfüllt. In diesem Beitrag werden relevante Aspekte der Plattformgesellschaft mit den Anforderungen der Demokratietheorien abgeglichen. Er zeigt auf, wo Regulierung notwendig erscheint.
Jahrbuch der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 2019
Merja Mahrt
Während Massenmedien üblicherweise integratives Potenzial zugeschrieben wird, wird dem Internet eher eine schädliche Wirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterstellt. Entsprechende Metaphern zu „Filterblasen“ und „Echokammern“ haben inzwischen auch in den öffentlichen Diskurs Einzug gehalten. Studien, die entsprechende Wirkungen einer digitalen Fragmentierung nachweisen, sind allerdings bisher eher selten. Der empirische Forschungsstand stützt Befürchtungen zu einem deutlichen Verlust an gesellschaftlichem Zusammenhalt durch das Internet somit nicht. Allerdings gibt es bei Extremgruppen am politischen Rand Anzeichen für digitale Fragmentierung. Angesichts des heterogenen Forschungsstands systematisiert der Beitrag theoretische Annahmen und empirische Befunde und argumentiert, dass die Erfassung digitaler Fragmentierung und ihrer Wirkungen weiter notwendig ist.
Volker Gehrau, Armin Scholl & Annie Waldherr
Die in diesem Jahrbuch veröffentlichten Beiträge sind notwendigerweise nur eine Auswahl der auf der Tagung präsentierten Beiträge und können daher auch inhaltlich nur einen kleinen Ausschnitt des breiten Themenfeldes "Integration durch Kommunikation" vermitteln. Diesen Ausschnitt ergänzen wir hier in Form eines überblicksartigen Tagungsberichts. Es werden die inhaltlich relevanten Aspekte aus dem Call for Papers vorgestellt und durch die Autor*innen und Titel aller auf der DGPuK Jahrestagung 2019 in Münster gehaltenen Vorträge ergänzt.
Andrea Häuptli, Lisa Schwaiger & Mark Eisenegger
Die demokratietheoretische Qualität von Newsinhalten auf sozialen Medien ist vor dem Hintergrund der Digitalisierung der Öffentlichkeit von gesellschaftlicher Relevanz. Können jedoch Newsinhalte von hoher Qualität genügend Engagement erzielen, um in den Social Media Strategien aufgenommen zu werden? Dieser Beitrag analysiert die Publikationen von fünf Schweizer Online-Newsmedien auf Facebook und verbindet demokratietheoretische Qualität mit der Intensität der Nutzerreaktionen (Engagement), gemessen als die Summe von reactions, shares und comments. Die Analyse zeigt eine positive Korrelation zwischen niedriger Qualität und hohem Engagement: Je geringer die Themenrelevanz und je weniger professionell die Artikel, umso höher das erzielte Engagement. Leitmedien können jedoch mit qualitativ hochstehenden Inhalten hohes Engagement auslösen, was auf die Relevanz der Medientypen verweist: Einordnungsleistung, d.h. die informative Tiefe eines Artikels, hat einen signifikant positiven Effekt auf Engagement im Fall des qualitativ hochstehenden Medientitels NZZ.
Susanne Keil & Juliane Orth
Technik wird in unserer Gesellschaft noch immer mit Männlichkeit assoziiert. Das Bild eines Mannes, der mit einer schweren Bohrmaschine arbeitet, erscheint uns vertrauter als das einer Frau, die dieselbe Tätigkeit ausführt. Derartige Repräsentationen von Technik und Geschlecht werden auch von den Medien verbreitet und könnten so bereits Mädchen und jungen Frauen den Zugang zu Technik erschweren. Digitalisierte Medienwelten bieten allerdings die Möglichkeit, neue Technik-Bilder zu entwerfen und dominante Vorstellungen dadurch zu verschieben. Hier könnten Öffentlichkeiten für Mädchen und Frauen entstehen, die eine Selbstverständigung über technische Interessen und damit einhergehend eine Erfahrung von Kompetenz vermitteln könnten. Anhand von fünf Gruppendiskussionen mit 12- bis 15-jährigen Gymnasiastinnen wurden deren Technikverständnis, deren Nutzung digitaler Medien zu Technikthemen, vor allem aber auch deren Ideen zu einer für sie attraktiven Vermittlung von Technikthemen erfragt. Dabei wurden insbesondere die Vorteile einer symmetrischen Kommunikation im Netz deutlich.
Laura Terstiege
Der Beitrag behandelt die Integration und Identifikation von Kommunikationsexperten und -expertinnen in virtuellen Teams. Da Arbeitsformen immer flexibler werden, findet die Arbeit in Organisationen häufig entgrenzt und mittels virtueller Teams statt. Die sich daraus ergebende physische Abwesenheit und das Ausbleiben lokaler Face-to-Face-Kommunikation stellt Anforderungen an die Integration der Mitarbeitenden. Um diese zu integrieren, ist die Identifikation der Einzelnen z. B. mit der Organisation und dem Team eine wichtige Voraussetzung.
Es wurde untersucht, womit sich Kommunikationsexperten und -expertinnen in Zeiten virtueller Zusammenarbeit identifizieren und durch welche Faktoren die Integration durch Identifikation mit der Organisation und dem Team zum einen beeinflusst wird sowie zum anderen aktiv geschaffen werden kann. Dazu wurden zehn qualitative Interviews mit Kommunikationsexperten und -expertinnen durchgeführt und mittels strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.
Patricia Müller & Wolfgang Schweiger
Die Bedingungen öffentlicher Kommunikation haben sich durch die Digitalisierung deutlich verändert. Das zeigt sich etwa in der Medien- und Angebotsvervielfachung, einer beschleunigten und flexibilisierten Aussagenproduktion und -rezeption sowie der algorithmisch-personalisierten Verbreitung von Inhalten. Blickt man auf öffentliche und kommunikationswissenschaftliche Debatten, scheinen diese Veränderungen in erster Linie Desintegration und gesellschaftliche Polarisierung zu fördern. Gesellschaftlich funktionale, integrierende Phänomene finden trotz ihrer Existenz nur wenig Beachtung. Zudem bedingen sich Desintegration und Integration meist auf verschiedenen Ebenen gegenseitig. Schließlich bezieht sich die bisherige Theoriebildung und Forschung zu (Des-)Integration durch Kommunikation überwiegend auf Massenmedien. Diese machen allerdings nur noch einen Teil der öffentlichen Kommunikation aus und befinden sich ihrerseits in einem stetigen Veränderungsprozess.
Um der eminenten Bedeutung der digitalen Transformation sowohl von (öffentlicher) Kommunikation für Desintegration als auch für Integration auf verschiedenen Ebenen gerecht zu werden, schlägt der Beitrag ein Framework vor. Es soll die Systematisierung, Einordnung und Verknüpfung verschiedenster Forschungsfragen zu diesem Themenfeld ermöglichen. (Des-)Integration wird dabei als Zusammenspiel von kommunikativer und sozialer (Des-)Integration begriffen. Phänomene kommunikativer (Des-)Integration hängen unmittelbar mit den sich wandelnden Bedingungen digitaler Kommunikation zusammen und korrespondieren mit sozialer (Des-)Integration.
Der Beitrag erläutert das Framework und diskutiert seine Elemente sowie deren Interdependenzen anhand verschiedener Beispiele.
Anna-Carina Zappe¹, Mariella Bastian², Laura Leißner³, Jakob Henke¹ & Susanne Fengler¹
Spätestens seit dem Jahr 2015 sind Migration und Zuwanderung fester Gegenstand politischer Debatten in Deutschland. Verschiedene kommunikationswissenschaftliche Studien widmen sich daher der medialen Berichterstattung zu diesen Themen und untersuchen, wie diese auf die Wahrnehmung von Migranten innerhalb der deutschen Bevölkerung wirkt (z.B. Arlt & Wolling, 2017). In Abgrenzung dazu widmet sich die hier vorliegende Studie der Frage, wie Migranten selbst die Migrationsberichterstattung rezipieren, wie sie diese wahrnehmen und wie diese persönliche Migrations- und Integrationshandlungen prägt. Dazu wurden zwei Fokusgruppendiskussionen mit Migranten aus Subsahara-Afrika geführt. Diskutiert wurden sowohl die Rezeption und Bewertung der Migrationsberichterstattung im Herkunftsland als auch in Deutschland. Die Ergebnisse zeigen, dass das Thema Migration kaum Gegenstand der in den Herkunftsländern rezipierten Berichterstattung war, weshalb persönliche Migrationsentscheidungen vor allem durch interpersonale Kommunikation beeinflusst wurden. Die Migrationsberichterstattung in Deutschland nahmen die afrikanischen Teilnehmer als zu einseitig und zu reduziert auf die Subthemen Armut und Krieg wahr.
Armin Scholl, Volker Gehrau & Annie Waldherr
Integration und Desintegration sind nicht notwendig Gegensätze, sondern immer auch zwei Seiten derselben Medaille. Integration ist nie total, sondern indirekt und unbewusst auch abgrenzend, ausschließend. In diesem Band geht es insbesondere um die integrierenden und desintegrierenden Mechanismen der digitalen bzw. digitalisierten Kommunikation. Vor diesem Hintergrund führt die Einleitung in die Beiträge dieses Proceedings ein und diskutiert schließlich den gesellschaftlichen Stellenwert digitalisierter Kommunikation in Bezug auf Integration und Desintegration.
Juliane Wegner, Elizabeth Prommer & Carlos Collado Seidel
Das freie Wort befindet sich in der Wahrnehmung von Autorinnen und Autoren in Deutschland unter starkem Druck. Die Studie, an der sich 526 Schriftstellerinnen und Schriftsteller beteiligt haben, fördert erschreckende Zahlen zutage: Drei Viertel sind in Sorge über die freie Meinungsäußerung in Deutschland und beklagen eine Zunahme von Bedrohungen, Einschüchterungsversuchen und hasserfüllten Reaktionen. Jeder Zweite hat bereits Übergriffe auf seine Person erlebt und hat außerdem Kenntnis von Angriffen auf Kolleginnen und Kollegen. „Das freie Wort unter Druck“ ist ein Forschungsprojekt des Instituts für Medienforschung und des PEN-Zentrums Deutschland.
Lars Rinsdorf & Laura Theiss
Der Beitrag beschäftigt sich mit dem Integrationspotenzial nebenberufliche freier Mitarbeiter*innen von Lokalzeitungen in lokalen Öffentlichkeiten in Deutschland. Er liefert aktuelle Daten zu einer Teilgruppe journalistischer Produzent*innen, die nur selten empirisch untersucht werden. Der Beitrag untersucht, ob sich hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Verortung, ihrer Motivation und Gratifikationen, ihren Orientierungshorizonten sowie ihres Grades der Integration in die Lokalredaktionen erwarten lässt, dass über nebenberuflich tätige freie Mitarbeiter*innen lebensweltliche und zivilgesellschaftliche Themen und Perspektiven Eingang in die Berichterstattung finden. Die Ergebnisse einer Online-Befragung von 662 freien Mitarbeiter*innen sprechen insgesamt dagegen, dass freie Mitarbeiter*innen das Integrationspotenzial lokaler Tageszeitungen bemerkenswert erhöhen. Sie orientieren sich sehr stark an etablierten professionellen Normen und sind eng in die Themenstrategie ihrer Redaktionen eingebettet.
Christian Strippel & Sünje Paasch-Colberg
Viele Redaktionen haben in den vergangenen Jahren Maßnahmen ergriffen, um ausfallenden Nutzerbeiträgen, Beleidigungen und Hassrede in den Kommentarspalten und Diskussionsforen ihrer Internetseiten zu begegnen. Neben der Formulierung von Community-Richtlinien, manueller Kommentarmoderation und dem Einsatz von Monitoringsoftware kommt dabei der „Diskursarchitektur“, der technischen Ausgestaltung dieser Kommentar-bereiche, eine große Bedeutung zu. Dazu zählen etwa verschiedene Formen der Registrierung, die Sortierung der Kommentarthreads oder verschiedene Grade der Anonymisierung. Die bisherige Forschung zu dem Thema hat solche Diskursarchitekturen zumeist in Fallstudien vergleichend untersucht, um möglichen Effekten der technischen Umgebung auf das Kommentarverhalten nachzuspüren. Die einzelnen Bestandteile von Diskurs-architekturen wurden dabei in der Regel analytisch nicht differenziert. Dieser Lücke widmet sich der vorlie-gende Beitrag und präsentiert eine Studie, in der alle von der IVW ausgewiesenen 361 redaktionell betreuten deutschen Nachrichtenseiten differenziert auf zehn verschiedene Merkmale hin analysiert wurden. Dabei zeigt sich, dass jene 173 Nachrichtenseiten, die überhaupt Kommentarspalten anbieten, ihre Möglichkeiten zur tech-nischen Regulierung bei Weitem nicht ausschöpfen. Mit Hilfe einer hierarchischen Clusteranalyse wurden schließlich fünf distinkte Typen von Diskursarchitekturen in Kommentarspalten identifiziert, die in zukünftigen Studien zur Klassifizierung genutzt werden können.
Benjamin Krämer
Der Beitrag diskutiert implizit und explizit in der Kommunikationswissenschaft vertretene Gesellschaftsvorstellungen und fragt, was wir meinen, wenn wir von der Integration der Gesellschaft durch Medien sprechen. Vielfach herrscht die Vorstellung einer durch gemeinsame Werte zusammengehaltenen Gesellschaft, wie sie auch in der populären Diskussion um Integration Zugewanderter meist vertreten wird. Eine Integration durch Medien stellt man sich oft so vor, dass sie durch massenmedial verbreitete gemeinsame Themen bewirkt wird oder durch Konformitätsstreben aufgrund medial konstruierter Meinungsklimata. Eine solches auf Gleichsinnigkeit beruhendes „gemeinschaftliches“ Gesellschaftsbild liegt trotz aller bedeutsamer Unterschiede auch dem Rechtspopulismus zugrunde. Dieser etwas provokative Vergleich regt zur kritischen Reflexion darüber an, welchen anderen (deskriptiven und normativen) Gesellschaftstheorien man sich vermehrt zuwenden sollte, die eine Vielfalt von Integrationsmechanismen vorsehen und einen Rahmen schaffen, wie mit differenzierten und widerstreitenden Wertvorstellungen umgegangen werden kann.
Sünje Paasch-Colberg, Christian Strippel, Laura Laugwitz,
Martin Emmer & Joachim Trebbe
Aggressive und diskriminierende Kommentare im Umfeld journalistischer Berichterstattung auf Nachrichten-seiten und in sozialen Medien gelten als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Herausfor-derung für die verantwortlichen Redaktionen. Auf der Basis von 20 qualitativen Leitfadeninterviews mit Com-munity Manager*innen untersucht dieser Beitrag, welche Moderationsstrategien im Umgang mit Hasskommen-taren ergriffen werden und welche Faktoren diese Moderationsentscheidungen erklären können. Mit Rückgriff auf die Gatekeeping-Forschung werden die Ergebnisse zu einem Modell von Erklärungsfaktoren verdichtet, das diese ‚Moderationsfaktoren‘ auf den Ebenen des Individuums, der Profession, der Organisation und der Gesellschaft anordnet.
Alina Semmer & Claudia Riesmeyer
Dass Medien mit Lügenpresse- und Propaganda-Vorwürfen konfrontiert werden, ist nicht neu. Auch wenn diese kritischen Kommentator*innen nur einen kleinen Teil der Nutzer*innen ausmachen, beeinflusst ihre Kritik Journalist*innen und andere Nutzer*innen. Die Themen Immigration und Gender provozieren häufig beleidigende Kommentare. Die Motive der Nutzer*innen sind dabei vielfältig. Insbesondere während der sogenannten Flüchtlingskrise veröffentlichen sie auf sozialen Netzwerken rechtsradikale, fremdenfeindliche und rassistische Posts. Ein Beispiel für solche Posts untersucht der Artikel. Er analysiert die Kontroverse um die vom Kinderkanal ausgestrahlte Sendung "Malvina, Diaa und die Liebe" mit einer quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse und zeichnet deren Verlauf aus Nutzer*innensicht nach. Dazu wertet er 878 Beiträge von Nutzer*innen aus und zeigt, dass sich die Mehrzahl kritisch mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Verfehlen des Programmauftrages) oder anderen Kommentaren auseinandersetzt. Auf eine Begründung wird meist verzichtet. Die Diskussion scheint genutzt zu werden, um den Ärger über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu artikulieren. Äußerungen dieser Art überwiegen bei weitem, obschon sich auch Fürsprecher'*innen zu Wort melden und die Rolle des Kinderkanals für Jugendliche und deren Bildung betonen. Deutlich wird, dass populistische Aussagen und ein Verunglimpfen der Medien keine faktenbasierten Argumente benötigen und dass eigentlich sachfremde Ereignisse für die eigene Überzeugung und zur Stärkung der Ingroup instrumentalisiert werden.
Carolin Jansen, Katarina Bader & Lars Rinsdorf
Untersuchungen zeigen, dass online veröffentlichte Desinformationen nicht nur von populistischen Akteuren genutzt werden, sondern auch selbst populistische Merkmale enthalten. Kennzeichnend für populistische Akteure ist die Betonung der Unterschiede zwischen Volk und Eliten sowie zwischen Mehrheiten und Minderheiten, wodurch ihr Kommunikationsverhalten in starkem Kontrast zu einem integrativen Demokratieverständnis steht: Im Zentrum derartig populistischer Kommunikation steht vielmehr die Polarisierung der Gesellschaft und die Schwächung des sozialen Zusammenhalts. Ausgehend von der Behandlung des Populismus als Phänomen der Kommunikation und der Verwendung von vier Kategorien zum Grad des Populismus präsentieren wir Ergebnisse einer Inhaltsanalyse von N=489 verifizierten sogenannten Fake News aus dem deutschsprachigen Raum. Unsere Ergebnisse belegen, dass Fake News kein rein populistisches Phänomen sind, aber sehr stark in diese Richtung tendieren. Zudem zeigen wir, dass die von Jagers & Walgrave (2007) entwickelten und von de Vreese et al. (2018) angewandten Kategorien des Empty-Populismus (Fürsprache für das Volk), Excluding-Populismus (Fürsprache für das Volk, Ausschluss von Minderheiten), Anti-Eliten-Populismus (Fürsprache für das Volk, Angriffe auf Eliten) und Complete-Populismus (Fürsprache für das Volk, Ausschluss von Minderheiten, Angriffe auf Eliten) hilfreich sind, um verschiedene Gruppen von populistischen Fake News im deutschsprachigen Raum zu klassifizieren. Darüber hinaus werden die Ergebnisse mit einer Netzwerkstrukturanalyse der recherchierten Fake-News-Portale kombiniert, die darauf hindeuten, dass präsentere und weniger präsente Portale existieren, die Fake News mit populistischem Tenor veröffentlichen. Mit diesen Ergebnissen sind wir in der Lage, jene Portale zu identifizieren und zu charakterisieren, die für das deutschsprachige Fake-News-Netz von zentraler Bedeutung sind. Diese Portale bergen das Risiko, in der digitalisierten Gesellschaft die integrierende Funktion zu untergraben, die Journalismus in Demokratien im Idealfall zukommt.
Die Analyse wurde durchgeführt im Rahmen des Verbundprojektes "DORIAN - Desinformation aufdecken und bekämpfen", das seit 2017 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird (Förderkennzeichen 16KIS0772).
Paula Stehr
Prosoziales Handeln ist eine Grundvoraussetzung für den Zusammenhalt in demokratisch verfassten Gesellschaften und eng mit Kommunikation verknüpft. So werden beispielsweise emotionale und informationelle Unterstützung über wechselseitige Gespräche verwirklicht, aber auch andere prosoziale Handlungen häufig zusätzlich verbalisiert. Medial vermittelte Kommunikationsmodi erweitern die Anzahl möglicher Interaktionspartner und damit die prosozialen Handlungsmöglichkeiten. Der Beitrag widmet sich der Frage, wie prosoziales Handeln im Zusammenhang mit Kommunikation in den Alltag der Menschen integriert ist: Welche Arten prosozialen Handelns lassen sich beobachten, welche Kommunikationsmodi werden dafür genutzt und in welcher Relation stehen diese beiden Aspekte? Ergebnisse einer teilstandardisierten Tagebuchstudie mit 57 Teilnehmenden zeigen, dass ein Großteil der prosozialen Handlungen Face-to-Face realisiert wurde, aber auch eine Reihe medienvermittelter Modi zum Austausch von emotionaler, informationeller und instrumenteller Unterstützung genutzt wurden. Neben der Umsetzung von Unterstützungsleistungen an sich haben medienvermittelte Kommunikationsmodi außerdem eine große Bedeutung für deren Absprache und Ankündigung.
Peter Gentzel, Paula Nitschke & Jeffrey Wimmer
Für gesellschaftliche Integration und Diversifikation ist der städtische Raum von besonderer Bedeutung. Der vorliegende Beitrag hat deshalb zum Ziel, die Digitale Stadt als Forschungsfeld für die Kommunikationswissenschaft zu erschließen. Die bisherige (deutschsprachige) Erforschung des Zusammenhangs von Medien und Stadt und idealtypische Aussagen zum Verhältnis von Medien, Lokalität und Integration in Studien zu Massen- und Onlinemedien werden dazu mit dem Forschungsstand in anderen Disziplinen, wie der Humangeografie, der kritischen Soziologie und Stadtplanungsforschung, sowie der Politikwissenschaft kritisch kontrastiert. Mit Hilfe des Begriffs der georeferenziellen Digitalmedien wird der traditionelle kommunikationswissenschaftliche Medienbegriff erweitert, um aktuelle Phänomene wie die medientechnologische Durchdringung von Städten und deren Inklusions- wie Exklusionstendenzen differenzierter analysieren zu können.
Jahrestagung der Fachgruppe Journalistik/Journalismusforschung der DGPUK 2019
Marlis Prinzing, Sebastian Pranz
Das Verhältnis zwischen journalistischen Medien und international agierenden Intermediären, ist zu einer Schlüsselfrage gesellschaftlicher Öffentlichkeiten geworden. Plattformdienste, die Aufmerksamkeit durch Aggregieren, Auswählen und Präsentieren von Inhalten generieren, tragen wesentlich zur Meinungsbildung der Gesellschaft und zur öffentlichen Kommunikation bei. Medienorganisationen sind zunehmend gefordert, publizistische und ökonomische Entscheidungen auch im Lichte einer eigenen Plattformstrategie abzuwägen: Plattformdienste versprechen eine größere Reichweite, Publizität und Leser*innennähe, bringen aber insbesondere Zeitungshäuser in eine strukturelle Abhängigkeit und zwingen sie dazu, Kontrollverluste einzukalkulieren, etwa über die Daten ihrer eigenen Zielgruppen. Der Beitrag reflektiert die internationale Forschung über Plattformdienste und fragt nach deren spezifischen Leistungen für den Journalismus. Vor diesem Hintergrund werden fünf journalistische Unternehmer*innen befragt, die in den letzten Jahren alternative Medienprojekte im deutschsprachigen Markt initiiert haben, sowie zwei Experten aus dem Feld der Medienpolitik. Die explorative Untersuchung zeigt, dass diese Neugründungen im Kontext einer plattformisierten Medienlandschaft auf maximale Unabhängigkeit von globalen Plattformdiensten setzen und die von diesen offerierten infrastrukturellen Vorteile bewusst gegen die deliberative Leistungsfähigkeit ihres eigenen Mediums abwägen.
Boczek, Karin; Hase, Valerie*
*beide Autorinnen haben gleichermaßen zu diesem Beitrag beigetragen
Die automatisierte Inhaltsanalyse wird auch in der Journalismusforschung zunehmend genutzt, um Texte (teil)-automatisiert zu analysieren. Sie hat damit zu einer Methodeninnovation im Fach beigetragen, die jedoch selten kritisch diskutiert wird. Der Beitrag gibt einen Überblick über Chancen und Grenzen der automatisierten Inhaltsanalyse in Forschung und Lehre. Er argumentiert für die Vereinbarkeit der Methode mit klassischen Journalismustheorien, weist aber auch auf Grenzen, etwa fehlende Analysetiefe oder mangelnde Validität, hin. Auch für die Vermittlung von Computational Methods werden Probleme offengelegt und Lösungsansätze auf organisatorischer, technischer und didaktischer Ebene diskutiert. Insgesamt bedeutet die automatisierte Inhaltsanalyse für die Journalismusforschung keine Neujustierung, sondern eine Erweiterung – sofern Grenzen der Methode beachtet werden. Anders sieht es bei der Lehre aus, wo eine verstärkte Vermittlung von Computational Methods gefordert wird.
Pamela Nölleke-Przybylski, Tanja Evers, Klaus-Dieter Altmeppen
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, den Status quo eines sich im Wandel befindlichen Journalismus über die beruflichen Anforderungen, die aktuell an (angehende) Journalist*innen gestellt werden, zu beschreiben. Dafür operationalisieren und systematisieren wir journalistische Praxis entlang eines Kompetenzmodells, das klassische und neue Kompetenzen integriert. Mittels einer standardisierten Inhaltsanalyse journalistischer Stellenausschreibungen (n=337) erfassen wir, inwieweit diese Kompetenzen den Journalismus aktuell kennzeichnen. Die Perspektive ist dabei dreigeteilt: Die Analyse fokussiert auf den Journalismus allgemein, sie betrachtet digitale, journalistische Arbeitsfelder und darüber hinaus auch jene Tätigkeitsbereiche, die das journalistische Arbeiten flankieren.
Die Ergebnisse belegen, dass das journalistische Handwerk den Journalismus über alle Mediengattungen und Anstellungsverhältnisse hinweg weiterhin definiert. Zugleich zeigt sich, wie sehr neue Kompetenzen im Bereich der Technik, digitalen Gestaltung und des unternehmerischen Denkens journalistisches Arbeiten im Bereich Online, Cross Media und Social Media definieren. Periphere Tätigkeiten verweisen auf Entgrenzungsprozesse im Journalismus und zeigen daher auf, inwieweit journalistische Kompetenzen auch nicht-journalistische Tätigkeiten prägen und welche nicht-journalistischen Tätigkeiten umgekehrt auch den Journalismus zunehmend kennzeichnen. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse, dass periphere, insbesondere technische Stellenprofile zu jenen neuen Kompetenzfeldern neigen, die das journalistische Kompetenzportfolio erst seit einigen Jahren erweitern. Dennoch verfügen digitale Journalist*innen über ein eigenes Berufsprofil, das sich von jenem der peripher Tätigen unterscheidet. Der Beitrag diskutiert abschließend die Chancen eines inhaltsanalytischen Vorgehens für die Journalismusforschung.
Juliane A. Lischka
Dieser Beitrag verknüpft Theorien und Konzepte der Organisationsforschung und wendet sie zur Erklärung des Entstehens des redaktionellen Angebots von Nachrichtenorganisationen im digitalen Kontext an. Der Beitrag konzipiert Nachrichtenorganisationen als hybride Organisationen, die sich widersprüchlichen institutionellen Logiken verschrieben haben. Dabei lösen manche Entscheidungen – wie das Posten von Nachrichten im Clickbait-Stil – ein Dilemma zwischen publizistischen Normen und ökonomischen Zielen aus, das zunächst innerhalb der Organisation ausgehandelt werden muss. Werden kommerzielle Logiken vor dem Hintergrund von Kurationsalgorithmen sozialer Plattformen priorisiert, nutzen auch traditionelle Nachrichtenmedien Clickbait-Überschriften und weichen damit von professionellen Normen ab. Spieltheoretische Ansätze beschreiben, mittels welcher Spielstrategien Nachrichtenmedien abweichende Inhalte auf digitalen Plattformen anbieten.
Bernadette Uth, Bernd Blöbaum, Laura Badura, Katherine M. Engelke
Interdisziplinarität hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen und wird häufig als Zielvorstellung wissenschaftlicher Forschung und Projekte definiert. Unklarheit besteht allerdings dahingehend, wie Interdisziplinarität definiert wird und welche Faktoren es in der Umsetzung von interdisziplinären Kooperationen zu beachten gibt. Die Journalismusforschung ist in hohem Maße für interdisziplinäre Projekte geeignet und bietet diverse Ansatzpunkte für die Kooperation mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Richtig organisiert kann die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen vielfältige Chancen für die Journalismusforschung bieten – sie bringt allerdings auch Herausforderungen mit sich, die es zu bewältigen gilt. Im Rahmen dieses Beitrags werden die Chancen und Herausforderungen interdisziplinärer Kooperationen in und für die Journalismusforschung auf Basis der in einem seit ca. 2010 laufenden Forschungsprogramm gemachten Erfahrungen reflektiert und kritisch diskutiert.
Andreas Hepp; Wiebke Loosen
Der Journalismus ist ebenso wie die Journalismusforschung mit den Trends einer tiefgreifenden Mediatisierung konfrontiert: die fortschreitende Differenzierung, Konnektivität und Omnipräsenz digitaler Medien sowie die Beschleunigung der Innovationszyklen bei der Technologieentwicklung und die mit digitalen Medien verbundene Datafizierung aller Lebensbereiche. Im Zuge dieser Entwicklungen hat die Journalismus-forschung in den letzten Jahrzehnten zunehmend ihr Sichtfeld erweitert, sich etwa im Hinblick auf die sie interessierenden Akteur:innen, Praktiken und Organisationstypen neu justiert und sich theoretisch sowie forschungspraktisch gegenüber anderen Disziplinen und Methoden geöffnet bzw. ist von diesen „entdeckt“ worden. Vor diesem Hintergrund und ausgehend von Beispielen aus unserer gemeinsamen Forschung argumentieren wir, dass eine Neujustierung der Journalismusforschung mit einer holistischen Perspektive verbunden sein sollte: in der Feldbeobachtung, der Forschungspraxis und bei der Theorieentwicklung.
Rosanna Planer, Alexander Godulla, Cornelia Wolf
Digitale Langformen sind aufwendig produzierte Multimedia-Stories, die ihre User*innen über eine komplexe Thematik informieren und dabei verschiedene Perspektiven einbeziehen. Für Medienhäuuser stellen diese Stories eine Chance zur Prestigesteigerung dar, doch müssen dafür überdurchschnittlich viele personelle, zeitliche sowie monetäre Ressourcen aufgewandt werden. Im Hinblick auf eine normative Legitimierung digitaler Langformen untersucht dieses Paper drei Argumente für deren Produktion: Für Digitalen Journalismus (I) stellen Langformen eine Möglichkeit zum Ausdruck von Qualität im digitalen Bereich und zum Erfüllen der demokratischen Funktion dar; für Journalist*innen (II) beinhalten sie die Chance, neue Produktionsroutinen und Kollaborationen zu etablieren; und dem Publikum (III) ermöglichen digitale Langformen, sich fundiert und mitunter immersiv über Themen zu informieren und einen Wissenszuwachs zu erlangen. Mögliche Gegenargumente und Bedenken werden ebenfalls adressiert.
Julia Lück
Karin Boczek
Der Artikel behandelt den spezifischen Bereich der Statistikausbildung innerhalb der Journalistiklehre an Universitäten und Hochschulen. Die Ausführungen basieren auf einer bei der Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Journalistik/ Journalismusforschung vom 18.-20. September 2919 an der KU Eichstädt-Ingolstadt durchgeführten World-Café Diskussion zum Thema „Statistikausbildung in deutschen Journalismusstudiengängen.“ Ergänzend fließen Eindrücke und Ergebnisse eines Workshops mit Dozierenden aus Journalismusstudiengängen und zwei Datenjournalist*innen zum praktischen Austausch zum selben Thema ein. Dieser fand am 13. März 2020 an der Universität Mainz statt. Der Artikel gibt Einblicke in die bei diesen Gelegenheiten geführten Diskussionen. Darüber hinaus liefert er zusätzliche Kontextinformationen zum Forschungsstand als auch einen Überblick über den aktuellen Stand der Statistik- und empirische Methodenlehre in deutschen Journalismusstudiengängen. Schließlich werden Ansatzpunkte für die weitere Beschäftigung mit dem Thema sowie Vorschläge zum didaktischen Umgang vorgestellt.
Klaus Meier, Jonas Schützeneder und Nina Springer
Relevanz und Fülle der Journalismusforschung sind in den letzten Jahren international enorm gestiegen. Dies hat einerseits mit dem Wandel durch die Digitalisierung von Medien und Gesellschaft zu tun – und andererseits mit der damit verbundenen Transformation und dem Bedeutungszuwachs ihres Forschungsgegenstands. Die Journalismusforschung hat sich aus dem Korsett „Kommunikatorforschung“ befreit, das ihr die allgemeine Kommunikationswissenschaft einst zugeschrieben hat: Mit neuem Selbstbewusstsein rückt sie einen ganzheitlichen Ansatz zur Erforschung und Analyse des Journalismus in der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Sie entwickelt Theorien und Methoden weiter – und überdenkt ihr Verhältnis zum Journalismus. Diese Entwicklungen werfen einen neuen Bedarf an Selbstreflexion auf. Genau das hat die Fachgruppe Journalistik/Journalismusforschung der DGPuK auf ihrer Jahrestagung im September 2019 in Eichstätt getan. Unter dem Titel „Neujustierung der Journalistik/Journalismusforschung in der digitalen Gesellschaft“ gab die Eichstätter Tagung auch den Anstoß, ein Selbstverständnispapier zu entwickeln. Dieser Beitrag diskutiert den größeren Kontext der Tagung und führt in die Proceedings ein, in denen zentrale Tagungsbeiträge veröffentlicht sind.
Margreth Lünenborg, Christoph Raetzsch, Wolfgang Reißmann, Miriam Siemon
Öffentliche Diskurse sind nicht mehr allein durch journalistische, sondern durch vielfältige soziale Akteur*innen geprägt, die dem Journalismus in seiner Deutungshoheit Konkurrenz machen. Um diese Herausforderung an Journalismus und den Umgang damit zu erfassen, eignet sich ein praxistheoretischer Ansatz. Der Fokus auf Praktiken als individuelle und akteur*innenübergreifende Handlungsroutinen, die soziale Strukturen hervorbringen (oder verändern), soll die komplementäre Anpassung nichtinstitutioneller und professioneller Akteur*innen in einem öffentlichen Sinngebungs- und Aushandlungsprozess nachvollziehbar machen. Neben der theoretischen Einordnung des Ansatzes „performativer Öffentlichkeiten“ für die Journalismusforschung, wird mit dem Analyserahmen „Media Practice“ ein Vorschlag zur Operationalisierung entwickelt. Um die Performativität von Öffentlichkeiten sowie die Annahme unterschiedlicher Sprecher*innenpositionen und das Übertreten verschiedener Ebenen von Öffentlichkeit (Layers of Publicness) in vorwiegend digitalen und vernetzten Umgebungen nachzuvollziehen, wird auf ein mixed-methods Design von (halb-)automatisierten Analysen und ethnografischen Methoden gesetzt, mit dem verschiedene Elemente der Praxis (Elements of Practice) und deren Brüche sowie Verknüpfungen rekonstruiert werden.
Klaus-Dieter Altmeppen
Eine bedeutsame soziale Praktik ist Kritik, im Sinne emanzipatorischen Erkenntnisinteresses. Kritik ist ein handelndes Element der sozialen Praktiken von Wissenschaftler_innen, die sich in ihrem Handeln mit den Normen und ihrer Unterscheidung auseinandersetzen (Jaeggi & Wesche, 2009, S. 7). Auf dieser Grundlage folgt die Zusammenfassung einer Keynote die, als Möglichkeit interpretiert wurde, problematische Entwicklungen in der Journalistik/Journalismusforschung herauszugreifen. Leitend für diese Möglichkeit ist die Annahme, dass die Journalismusforschung/Journalistik sich als Gesellschaftswissenschaft verstehen sollte. Der vorliegende Beitrag diskutiert daher anhand von fünf zentralen Thesen Ausgangspunkt, Herausforderungen und Zukunft der Journalismusforschung.
Jonas Schützeneder, Klaus Meier, Nina Springer (Hrsg.)
Relevanz und Fülle der Journalismusforschung sind in den letzten Jahren international enorm gestiegen. Die Journalismusforschung hat sich aus dem Korsett „Kommunikatorforschung“ befreit, das ihr die allgemeine Kommunikationswissenschaft einst zugeschrieben hat: Mit neuem Selbstbewusstsein rückt sie einen ganzheitlichen Ansatz zur Erforschung und Analyse des Journalismus in der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Sie entwickelt Theorien und Methoden weiter – und überdenkt ihr Verhältnis zum Journalismus. Genau das hat die Fachgruppe Journalistik/Journalismusforschung der DGPuK auf ihrer Jahrestagung im September 2019 in Eichstätt getan. Unter dem Titel „Neujustierung der Journalistik/Journalismusforschung in der digitalen Gesellschaft“ sind im Kontext der Tagung zwölf Beiträge entstanden, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen. Unter dem folgenden Link finden Sie die gebündelte Version aller zwölf Beiträge in einer gemeinsamen PDF-Datei.
Anna-Lena Wagner, Wiebke Möhring
Der theoretische Beitrag richtet seinen Fokus auf freie Mitarbeiter*innen im Lokalen in Tageszeitungen und ihren Onlineablegern. Die Akteure, die schon seit Jahrzehnten eine relevante Größe im Lokaljournalismus darstellen, haben in der Kommunikationswissenschaft bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren. Der Beitrag liefert in zweifacher Hinsicht Anknüpfungspunkte für eine Neujustierung der Journalismusforschung: Er wählt erstens auf Akteursebene eine Definition freier Mitarbeiter*innen im Journalismus, die über bestehende Berufsfeldstudien hinausgeht. Zweitens präsentiert der Beitrag ein – in der vorgestellten Breite – neues theoretisches Modell, das die sozialintegrativen Theorien der Akteur-Struktur-Dynamiken und der Strukturationstheorie verbindet. Der Aufsatz verdeutlicht anhand konkreter Fragestellungen, dass erst eine Kombination beider Theorien dem Forschungsgegenstand und seinen vielfältigen Perspektiven gerecht werden kann sowie großes Potenzial für Arbeiten in der akteurstheoretischen Journalismusforschung bietet.
Jahrestagung der Fachgruppe Gesundheitskommunikation der DGPUK 2020
Katharina Frehmann1, Markus Schäfer2
Jährlich sterben in Deutschland mehr als 9.000 Menschen durch Suizid. Zu den wichtigsten Präventionsmaßnahmen zählt die Weltgesundheitsorganisation unter anderem auch eine verantwortungsvolle Suizidberichterstattung und bezieht sich damit auf Erkenntnisse zum „Werther-” bzw. „Papageno-Effekt“, wonach Suizidberichterstattung zur Entstehung bzw. Verhinderung weiterer Suizide beitragen kann. In der aktuellen Suizidberichterstattung fallen vermehrt Fußnoten am Ende von Artikeln auf, die präventive Hinweise zu Hilfsangeboten bei Suizidgedanken und zur Gefahr von Nachahmungssuiziden enthalten. Allerdings finden sich solche Hinweise auch unter Beiträgen, die wesentliche Elemente aus Suizidpräventionsrichtlinien missachten und somit möglicherweise einen Ersatz für eine dezidierte Auseinandersetzung mit diesen Richtlinien darstellen. In einem Online-Experiment (2x2) bewerteten 212 Journalist*innen in außerredaktioneller Ausbildung einen fiktiven Online-Artikel über einen Prominentensuizid, der im Vorkommen einer Fußnote und der Konformität zu WHO-Richtlinien für Suizidberichterstattung variiert wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass der richtlinienkonforme Artikel als sachlicher eingeschätzt wurde, die Fußnote allerdings nicht zum Informationsgehalt beitrug. Für die Publikationsentscheidung des Artikels konnte eine Interaktion festgestellt werden, die aufzeigte, dass unter den Artikeln ohne Fußnote der richtlinienkonforme Artikel eher publiziert werden würde, sich die Artikel mit Fußnote allerdings nicht in der Publikationsentscheidung unterscheiden. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob Fußnoten in Redaktionen habitualisiert oder automatisiert als Rechtfertigung von Suizidartikeln verwendet werden, ohne die Hintergründe und Präventionsziele zu kennen.
Paula Stehr
Dieser Beitrag betrachtet den Zusammenhang von sozialer Unterstützung, im Sinne tatsächlicher Unterstützungsleistungen, und der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse. Die Erforschung sozialer Unterstützung in Online-Kommunikationsmodi fokussiert bisher vor allem die Perspektive der Unterstützungsempfänger*innen. Tatsächlich hat die geleistete Unterstützung jedoch einen größeren Anteil an der Online-Kommunikation als die Suche danach. In der vorliegenden Studie werden deshalb beide Seiten unterstützender Interaktionen berücksichtigt. Das angenommene Modell wurde anhand von Befragungsdaten zur Nutzung von Online-Foren zum Thema Elternschaft (n = 332) und mentale Gesundheit (n = 138) geprüft. Eine Strukturgleichungsanalyse nach dem PLS-Ansatz zeigt, dass sowohl die empfangene als auch die geleistete Unterstützung, zum Teil mediiert über deren Effektivität, zur Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse beitragen konnte. Der Zusammenhang mit der geleisteten Unterstützung ist dabei stärker als jener mit der empfangenen Unterstützung. Wissenschaftliche Implikationen für die Erforschung sozialer Unterstützung und praktische Implikationen für Online-Interventionen werden diskutiert.
Tobias Frey, Thomas N. Friemel
Der Tabakkonsum bleibt eine der verbreitetsten vermeidbaren Todesursachen weltweit und die Klärung der Hintergründe für den Einstieg unter Jugendlichen ist deshalb weiterhin von großem Interesse. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei der Rolle des sozialen und medialen Umfelds zu. Im Kontext neuer Interaktionsstrukturen auf sozialen Medien wird zunehmend die Notwendigkeit erkannt, auch komplexere Wirkungsmechanismen zu berücksichtigen. Diese Studie folgt diesem Ansatz und untersucht, wie Rezeption und Produktion tabakbezogener Inhalte auf sozialen Medien normative Vorstellungen und Konsumverhalten unter Jugendlichen beeinflussen. Dazu wurde eine zweiwellige Panelstudie (N = 893) an vier Schweizer Gymnasien durchgeführt. Einerseits zeigte sich, dass die wahrgenommene Prävalenz und Akzeptanz des Tabakkonsums positiv mit dem wahrgenommenen Konsum auf Instagram zusammenhängen. Andererseits ließ sich der Tabakkonsum selbst sowohl mit normativen Vorstellungen als auch mit der Produktion von entsprechenden Inhalten auf Snapchat erklären. Der Beitrag diskutiert die unterschiedliche Rolle der Plattformen bezüglich Rezeptions- und Produktionseffekten und die Relevanz von normativen Vorstellungen als Mediatoren im Medienwirkungsprozess.
Winja Weber, Constanze Rossmann
Die HPV-Impfquote in Deutschland ist deutlich zu gering, weshalb neue evidenz-basierte Kommunikationsstrategien gefordert werden. Eine Möglichkeit zur Steigerung von Impfquoten bietet die Ansprache individueller Werte, da diese, wenn sie als Bezugsrahmen aufgespannt werden, die Wahrnehmung, Meinung und Einstellung zu einer Thematik beeinflussen können. Die vorliegende Studie entwickelte daher ein Modell, das individuelle Werte in die Theory of Planned Behavior integriert, um wichtige Werte im HPV-Impfkontext zu identifizieren. Zur Modell-Überprüfung wurde eine Online-Umfrage unter Eltern (N = 245) durchgeführt. Die Ergebnisse einer Strukturgleichungsmodellierung zeigen, dass Personen, die Machtwerte als wichtig empfanden, eine negativere Einstellung zur HPV-Impfung aufwiesen, was wiederum zu einer schwächeren Impfintention führte. Dies deutet darauf hin, dass Eltern ihre Kinder mitunter deshalb nicht impfen lassen, weil sie unerwünschte Impfreaktionen nicht kontrollieren können. Die Integration von Machtwerten in Impfinformationen kann somit einen Mehrwert bieten, um impfkritische Eltern von der HPV-Impfung zu überzeugen.
Janine Brill1, Dominik Daube2
Die effektive Umsetzung von Hygienemaßnahmen hat in Zeiten der vermehrten Verbreitung von Viren, vor allem in der Grippezeit (in den Wintermonaten) und angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie, an Relevanz gewonnen. Insbesondere im öffentlichen Raum ist es wichtig, Individuen verstärkt zur Nutzung von Desinfektionsmittelspendern zu motivieren, um das Infektionsrisiko zu verringern. Mithilfe eines präregistrierten Experiments wurde im Rahmen der vorliegenden Studie untersucht, ob der Einsatz rein visueller und visuell-informativer Nudges sowie deren parallele Anwendung zu einer Steigerung der Nutzung von Händedesinfektionsmittelspendern in öffentlichen Einrichtungen führt. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die eingesetzten Nudges einen positiven Effekt auf die Nutzung von Desinfektionsmittelspendern haben. Insbesondere die zeitgleiche Anwendung der Nudges führte zu einer deutlichen Steigerung der Nutzer*innenzahlen.
Johannes Zensen, Alexander Röhm
Die Stigmatisierung von Kindern mit Verhaltens- und emotionalen Störungen wie ADHS stellt immer noch eine große Barriere für einen adäquaten Zugang zur Bildung dar. In diesem Kontext spielen die Einstellungen von Lehrkräften gegenüber diesen Kindern eine wichtige Rolle, da sie die Chancen für eine erfolgreiche inklusive Bildung für die betroffenen Kinder erhöhen. Vor diesem Hintergrund stellen Stigmatisierungseffekte durch Ursachenzuschreibungen in Fallbeispielen ein relevantes Ziel für die Anti-Stigma- und Gesundheitskommunikation dar. Ursachenzuschreibungen in Fallbeispielen, wie sie in vielen medialen Beiträgen vorkommen, können Einstellungen gegenüber stigmatisierten Personengruppen sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Basierend auf der exemplification theory (Zillmann & Brosius, 2000) und dem Mixed-Blessings Modell (Haslam & Kvaale, 2015) wurde in einem 3 × 2 Online-Experiment untersucht, wie biologische, psychosoziale und bio-psychosoziale Ursachenzuschreibungen für eine ADHS in Fallbeispielen betroffener Kinder stigmarelevante Einstellungen von Lehramtsstudierenden gegenüber Kindern mit ADHS beeinflussen. Biologische Ursachenzuschreibungen im Vergleich zu psychosozialen Ursachenzuschreibungen verringerten die soziale Distanz gegenüber Kindern mit ADHS, während bio-psychosoziale Ursachenzuschreibungen positivere Einstellungen zur schulischen Inklusion von Kindern mit ADHS hervorriefen als psychosoziale Ursachenzuschreibungen. Die Implikationen dieser Ergebnisse für die strategische Anti-Stigma- und Gesundheitskommunikation werden diskutiert.
Melanie Bößenecker1, Jens Vogelgesang2
Eine der zentralen Fragestellungen in der Gesundheitskommunikation betrifft die Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen. In dieser Studie (N = 424) wurde das Zusammenspiel von Message Framing (Kahneman & Tversky, 1979; Rothman & Salovey, 1997; Tversky & Kahneman, 1981) als Botschaftsmerkmal und dem regulatorischen Fokus (Higgins, 1997, 1998) als Rezipierendenmerkmal in der präventiven Ernährungskommunikation zu Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln experimentell untersucht. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Promotion-Fokus ein positiver Prädiktor von unmittelbaren Persuasionseffekten ist. Zudem erwies sich der Verlust-Frame bei Prevention-Fokussierten als persuasiver (Prevention-Fit). Insofern kann die Wirksamkeit von Ernährungskommunikation von Kongruenzeffekten durch regulatorischen Fit (Higgins, 2000, 2005) profitieren.
Charmaine Voigt, Freya Sukalla
Jegliche Form der gesundheitsbezogenen und/oder gesundheitsrelevanten Kommunikation impliziert neben intendierten immer auch das Risiko von nicht-intendierten Effekten. Trotz der ethischen Relevanz wird nicht-intendierten Effekten in der Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Entsprechend folgte der Call zur 5. Jahrestagung der Fachgruppe Gesundheitskommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft dem Aufruf nach einer stärkeren Berücksichtigung potenzieller nicht-intendierter Effekte. Neben einer thematischen Einführung geben wir hier einen kurzen Überblick über die 15 Beiträge, die beide Perspektiven von Risiken und Potenzialen der Ernährungs- und Gesundheitskommunikation verbinden.
Anna Freytag, Elena Link, Eva Baumann
Vom neuartigen Coronavirus betroffene Menschen berichten von Beschimpfungen auf offener Straße, Hassmails und Nachbar*innen, die auf Distanz gehen. Sowohl die Angst vor dem Ungewissen als auch vor Ansteckung und der damit verbundenen Mortalität, führen dazu, dass Betroffene von Infektionskrankheiten wie COVID-19 vorverurteilt, ausgegrenzt, diskriminiert und somit stigmatisiert werden. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie stark die Stigmatisierung von COVID-19-Erkrankten in Deutschland ausgeprägt ist und welche Faktoren die Stigmatisierung beeinflussen. Hierzu wurden im April 2020 997 Menschen in Niedersachsen mittels eines Online-Panels befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stigmatisierung insgesamt eher gering ausgeprägt ist. Im Vergleich der Stigma-Komponenten fällt die Tendenz zu diskriminierendem Verhalten am stärksten aus. Zudem zeigte sich, dass Männer im Vergleich zu Frauen sowie Personen mit höherer Risikowahrnehmung zu einer stärker stigmatisierenden Haltung tendieren. Unter den kommunikationsbezogenen Einflussfaktoren zeigte sich, dass die Nutzung softer und sozial eingebetteter Nachrichtenquellen, wie Boulevardzeitungen oder Influencer*innen, mit einer stärkeren Stigmatisierung, die Nutzung traditioneller Nachrichtenquellen, wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hingegen mit einer geringeren Stigmatisierung von Corona-Betroffenen einhergeht.
Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann
Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie verlangen einen steten Informationsfluss ausgehend von offiziellen Behörden über die Medien zu den Bürger*innen, um einerseits Panik zu vermeiden und andererseits relevante Informationen zu den aktuellsten Schutzmaßnahmen an die Bevölkerung zu distribuieren. Ausschlaggebend für den Erfolg dieser Kommunikationsmaßnahmen ist jedoch die individuelle Bereitschaft, die bereitgestellten Informationen auch zu rezipieren. Einem Repertoire-Ansatz folgend erforscht die Studie bestehende Muster im Informationsverhalten der Deutschen zu Beginn der Pandemie sowie deren Veränderungen zwischen März und April 2020. Sie untersucht weiterhin, welche Bedeutung soziodemografische Merkmale sowie individuelle, mit der intensiven Berichterstattung in Verbindung stehende Faktoren (Themenverdrossenheit, wahrgenommene Informiertheit) für die Informationssuche haben. Eine zweiwellige Online-Befragung im Panel-Design (N = 1065) diente der Beantwortung dieser Fragen. Im Zuge der Analysen konnten drei zentrale Nutzungstypen mit unterschiedlichen Informationsrepertoires identifiziert werden: Wenignutzende, Traditionalist*innen und Vielnutzende, wobei die Themenverdrossenheit den zentralen Faktor für die Erklärung von Informationsvermeidung darstellt. Dies wirft die Frage auf, wie intensiv die Berichterstattung über ein Thema sein sollte, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Informationsbedürfnis und Informationssättigung zu erreichen.
Linn Julia Temmann1, Annemarie Wiedicke1, Doreen Reifegerste1, Sebastian Scherr2
Responsibility Frames in der Gesundheitsberichterstattung können die Verantwortungsattributionen der Rezipierenden und somit die öffentliche Meinung zu Gesundheitsthemen wie Diabetes oder Depression beeinflussen. In den Medien wird häufig die individuelle Verantwortung für Gesundheit betont, obwohl die epidemiologische Forschung verstärkt auf Einflüsse der Gesellschaft und insbesondere des sozialen Netzwerks verweist. Während Experimentalforschung zu Responsibility Frames auf den Ebenen des Individuums und der Gesellschaft vorhanden ist, werden Frames und Attributionen auf Ebene des sozialen Netzwerks bislang jedoch außer Acht gelassen. Die Ergebnisse eines repräsentativen Online-Experiments (N = 1.088) bestätigen Befunde vorheriger Experimente zur Wirkung von Individualframes und erweitern diese um die Ebene des sozialen Netzwerks. Frames auf Ebene des Individuums und des sozialen Netzwerks führten jeweils zu mehr Attributionen zum Individuum bzw. zum sozialen Netzwerk. Ein Frame, der die gesellschaftliche Verantwortung betont, löste hingegen komplexere Attributionsmuster aus. Implikationen dieser Ergebnisse werden hinsichtlich der Medienberichterstattung zu Gesundheitsthemen und der Forschung zum Responsibility Framing diskutiert.
Claudia Poggiolini
Die Wirksamkeit von Furchtappellen in Tabakpräventionskampagnen ist umstritten: Solche Verlust-Frames, welche die Gesundheitsfolgen des Rauchens darstellen, erhöhen nicht nur die Gefährdungswahrnehmung und fördern damit die Absicht zum Rauchstopp, sondern können auch Reaktanz generieren. Aus diesem Grund werden vermehrt Inhalte gezeigt, die darstellen, welche Vorteile ein Rauchstopp mit sich bringt (i.e., Gewinn-Frames). Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die Wirksamkeit von Gewinn- und Verlust-Frames in einer Tabakpräventionskampagne direkt zu vergleichen und dabei die Abhängigkeit der Rauchenden zu berücksichtigen. Es zeigte sich wie erwartet, dass ein Gewinn-Frame bei stark Abhängigen im Gegensatz zu schwach Abhängigen die Gefährdungswahrnehmung erhöhte und dadurch deren Absicht zum Rauchstopp stärkte. Bezüglich der Reaktanz wurden jedoch keine Unterschiede gefunden. Zudem führte keine der beiden Varianten bei schwach Abhängigen zu einer höheren Absicht zum Rauchstopp. Die Ergebnisse werden diskutiert und Implikationen für Tabakpräventionskampagnen werden abgeleitet.
Elena Link
Obwohl die aktive Auseinandersetzung mit Gesundheitsinformationen für den Erhalt der Gesundheit und die Bewältigung einer Erkrankung von Bedeutung ist, reagieren manche Menschen ablehnend auf entsprechende Informationen. So stellen Informationsvermeidung und Nicht-Nutzung alltägliche Kommunikationsphänomene dar, die allerdings bisher vergleichsweise wenig erforscht sind. Um diese Forschungslücke zu schließen, unterscheidet der vorliegende Beitrag zunächst verschiedene Typen des Umgangs mit Gesundheitsinformationen und charakterisiert diese anschließend anhand der Merkmale des Framework of Understanding Information Avoidance Decisions. Die Ergebnisse einer Online-Befragung einer stratifizierten Stichprobe der deutschen Bevölkerung zeigen die stärksten Unterschiede zwischen den Typen mit Blick auf die Persönlichkeitstendenz des Blunting, die wahrgenommene soziale Unterstützung, die Gesundheitskompetenz und das Vertrauen in Informationsquellen. Tendenziell unterscheiden diese Merkmale die Suchenden von den Vermeider*innen und Nicht-Nutzer*innen, während die Vermeider*innen und Nicht-Nutzer*innen nur unzureichend differenziert werden können. Die identifizierten Unterschiede mit Blick auf Bewältigungsressourcen, Fähigkeiten und Einstellungen dienen als erste Anhaltspunkte, welche Barrieren es in der strategischen Gesundheitskommunikation zu überwinden gilt, um die genannten Personengruppen anzusprechen.
Anna Wagner
In diesem Beitrag werden die unerwünschten gesundheitsrelevanten Konsequenzen von (Medien-)Kommunikation aus einer lebensweltlichen Perspektive heraus beforscht. In einer qualitativen Studie mit 38 Teilnehmer*innen, in der Interviews mit Gesundheitstagebüchern kombiniert wurden, wurde danach gefragt, wie Menschen diese negativen Folgen in ihrem zunehmend digital gewordenen Medienalltag wahrnehmen, in welchem Verhältnis die einzelnen unerwünschten Folgen zueinanderstehen und welche Coping-Strategien Individuen entwickeln, um damit umzugehen bzw. diese abzuschwächen. Die Ergebnisse zeigen, dass ganz unterschiedliche unerwünschte Folgen von (Medien-)Kommunikation für die Gesundheit in den Lebenswelten von Menschen zusammenspielen. Diese sind (1) auf Ebene der Medieninhalte und -darstellungen, (2) auf Ebene der Mediennutzung, (3) auf Ebene der interpersonalen Kommunikation und sozialer Beziehungen sowie (4) auf Ebene der sozialen Erwartungen und Normen zu verorten.
Elena Link, Magdalena Rosset, Anna Freytag
Die Corona-Pandemie stellt eine Phase der Unsicherheit dar und geht mit Handlungs- und Entscheidungsbedarfen einher, für deren Bewältigung das individuelle Kommunikations- und Informationshandeln eine wichtige Rolle spielt. Dabei ziehen Rezipient*innen situationsbedingt bestimmte Quellen anderen vor und legen beispielsweise unter bestimmten Bedingungen mehr Wert auf interpersonalen Austausch anstelle von medialer Suche. Das Ziel des vorliegenden Beitrags liegt darin, verschiedene Typen des interpersonalen und medialen Kommunikations- und Informationshandelns mit Bezug zur Corona-Pandemie zu identifizieren und ihre Spezifika herauszuarbeiten. Auf Basis 21 leitfadengestützter Interviews, die mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden, konnten je sechs inhaltsbezogene und zwei strategiebezogene Typen des interpersonalen sowie des medialen Kommunikations- und Informationshandelns identifiziert werden. Bei den interpersonalen Typen liegt der Fokus auf Emotionsbewältigung, auf Erfahrungs- oder Informationsaustausch. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Offenheit gegenüber dem Thema aus, während die medialen Typen von konkreten Interessensfeldern und sowohl durch Strategien der aktiven, gezielten Suche als auch der passiven Form des Scanning gekennzeichnet sind. Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse zeigt sich für die frühe Phase der Pandemie ein hohes Informationsbedürfnis und eine umfassende, auch selektive und kritische Rezeption medialer Inhalte und eine durch emotionale und informationelle Unterstützung geprägte Art des persönlichen Austauschs im sozialen Umfeld.
Michélle Möhring, Alexander Röhm, Cosima Nellen, Matthias R. Hastall
In der Gesundheitskommunikation werden Fallbeispiele eingesetzt, um Aufmerksamkeit für Gesundheitsbotschaften zu fördern und Gesundheitsverhalten zu beeinflussen. Das gesundheitsbezogene Thema der Pränataldiagnostik ist eng mit anderen kontroversen Themen wie Schwangerschaftsabbrüchen verknüpft und insbesondere mit der Genommutation Trisomie 21 assoziiert. In der vorliegenden Studie wird untersucht, inwiefern Fallbeispiele im Kontext der Pränataldiagnostik nicht-intendierte Effekte wie negative Emotionen und generalisierte Stigmatisierung von Menschen mit Trisomie 21 auslösen. In einem 2 × 2 × 3-Online-Experiment lasen 958 Teilnehmende einen randomisiert zugeteilten Medienbericht über Pränataldiagnostik, der durch das Fallbeispiel einer schwangeren Frau gerahmt wurde. Die Fallbeispiele wurden hinsichtlich des Alters, des Familienstandes und der Vorerfahrungen mit Trisomie 21 manipuliert. Darstellungen von älteren und alleinstehenden Frauen sowie die Kombination vermeintlich „ungünstiger“ Schwangerschaftsbedingungen riefen vermehrt negative Emotionen hervor. Die generalisierte Stigmatisierung von Menschen mit Trisomie 21 wurde durch das Alter des Fallbeispiels direkt beeinflusst. Ferner zeigte sich ein signifikanter Effekt des Geschlechts der Teilnehmenden auf die negativen emotionalen Reaktionen und die generalisierte Stigmatisierung von Menschen mit Trisomie 21. Implikationen zur Vermeidung nicht-intendierter Fallbeispieleffekte im Kontext der Pränataldiagnostik werden diskutiert.
Wer macht wen für Gesundheit (und Krankheit) verantwortlich?
Elena Link & Eva Baumann
Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen sowie ihrem Informations- und Kommunikationshandeln. Statt sich ausschließlich auf das biologische Geschlecht zu fokussieren, fragt der vorliegende Beitrag nach der Rolle des sozialen Geschlechts für das gesundheitsbezogene Informationshandeln und die Übernahme der Rolle der Gesundheitsmanager:in. Die Rolle des Geschlechts wird hierzu mittels der sozialen Rollentheorie und geschlechtertypischen Sozialisation kontextualisiert. Dabei wird der bisher weit verbreitete Fokus auf das biologische Geschlecht um Geschlechterstereotype und das Geschlechter-Selbstkonzept erweitert. Die Ergebnisse einer qualitativen Befragung zeigen, dass sowohl die Suche nach Gesundheitsinformationen als auch die Übernahme der Kommunikationsrolle der Gesundheitsmanager:in am stärksten mit der Identifikation mit sozialen Werten verbunden ist. Dennoch spielen auch eher männlich attribuierte Eigenschaften wie Lösungs- und Machtorientierung eine Rolle und sind für die Suche und Verantwortungsübernahme förderlich. Entsprechende Erkenntnisse sind für Fragen der strategischen Gesundheitskommunikation und die Ansprache unterschiedlicher Anspruchsgruppen bedeutsam, indem diese Merkmale stärker bei der Diffusion von Gesundheitsinformationen mittels Meinungsführender berücksichtigt werden sollten.
Anna Wagner & Linn Julia Temmann
Psychische Erkrankungen werden im digitalen Zeitalter in verschiedenen Medien thematisiert. Dies gilt auch für humoristische Social-Media-Inhalte wie die sogenannten Depression Memes – Memes, die sich mit Themen wie Suizid, Sterben oder Depression befassen. Während die Wirkungen von Depression Memes bereits punktuell untersucht wurden, sind die konkreten Inhalte bislang kaum in den Blick genommen worden. In einer qualitativen Inhaltsanalyse von 400 unter dem Hashtag #depressionmemes geposteten Memes auf Instagram untersuchten wir daher, wie 1) die psychische(n) Erkrankung(en), 2) von der Erkrankung Betroffene und 3) potentiell wirksame Gegenmaßnahmen darin dargestellt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die psychischen Erkrankungen gleichzeitig als unkontrollierbarer Akteur und als integraler Bestandteil der eigenen Identität dargestellt werden. Die Betroffenen selbst werden entsprechend als kontrolliert und für ihr Handeln nicht verantwortlich porträtiert. Zudem wird in den Memes sowohl die unrealistische Erwartungshaltung an die Betroffenen als auch gesellschaftliche Fehlwahrnehmungen und -vorstellungen der psychischen Erkrankungen kritisiert. Potenzielle Gegenmaßnahmen wie Medikamente oder Therapien werden als größtenteils wirkungslos, unzulänglich und sogar kontraproduktiv präsentiert. Der Beitrag diskutiert auf Basis dieser Ergebnisse die möglichen kurz- und langfristigen Implikationen der Nutzung von Depression Memes für die Betroffenen.
Ina von der Wense & Michael Wild
Die Corona-Pandemie hat in den letzten Jahren den öffentlichen Diskurs wie auch die mediale Berichterstattung maßgeblich geprägt. Insbesondere auch die Frage nach Verantwortlichkeiten für unterschiedliche Aspekte wie Schutzmaßnahmen oder Impfstoffbestellung und -verteilung wurden dabei immer wieder und in der gesamten medialen Breite diskutiert. Der vorliegende Beitrag untersucht, welche Verantwortungszuschreibungen im Rahmen der Corona-Pandemie im NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update“ geäußert wurden und ordnet diese anhand eines Mehrebenen-Modells des Responsibility Framings auf den Ebenen Individuum, Netzwerk, Institution und Gesellschaft zu. Darüber hinaus wird gefragt, ob auch eine Verlagerung von Verantwortung zwischen den Ebenen zu beobachten ist. Die empirische Umsetzung erfolgt dabei anhand eines Methodenmixes aus automatisierter Textanalyse mittels der Programmiersprache Python und einer manuellen quantitativen Inhaltsanalyse. Dabei wurden alle 127 Folgen des Podcasts analysiert, die zwischen Februar 2020 und März 2022 publiziert wurden. Die Ergebnisse zeigen starke Zuschreibungen von Verantwortlichkeit insbesondere auf der institutionellen Ebene. Zugleich zeigt sich an verschiedenen Stellen, vor allem auf der institutionellen, aber auch von der institutionellen auf die individuelle Ebene und umgekehrt, die Verschiebung von Verantwortung an andere (sog. Shifting the blame).
Dominik Daube, Alexander Ort, Freya Sukalla, Anna Wagner & Doreen Reifegerste
Der vorliegende Beitrag führt in die akademische Lehre in der noch jungen und sich zunehmend etablierenden Disziplin der Gesundheitskommunikation ein. Dabei werden zentrale Herausforderungen und Chancen im Lehrkontext adressiert – auf struktureller Ebene (Lehrsettings) sowie hinsichtlich der zu vermittelnden Theorien und Methoden – um die zentrale Frage zu beantworten: Wie müsste gute Lehre in der Gesundheitskommunikation gestaltet sein? Als Maßnahmen werden u. a. die Erarbeitung einer einheitlichen modularen curricularen Struktur, die Einrichtung eines Lehr-Repositoriums sowie die inter- und transdisziplinäre Vernetzung vorgeschlagen, die in einer neugegründeten AG ‚Lehre‘ der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation umgesetzt werden sollen.
Linn Julia Temmann, Annemarie Wiedicke, Doreen Reifegerste & Sebastian Scherr
Responsibility Framing in der medialen Berichterstattung zu Gesundheitsthemen beeinflusst potenziell die Vorstellungen des Publikums darüber, wer für Ursachen und Lösungen von Gesundheitsproblemen verantwortlich ist. In der bisherigen Forschung hierzu wurden Frame-Inhalte und Framingeffekte zumeist getrennt voneinander untersucht. Mit einem multimethodischen Forschungsdesign bestehend aus 1) einer quantitativen Inhaltsanalyse von N = 1.044 Beiträgen aus überregionalen Print- und Onlinemedien zu Depression und Typ-2-Diabetes von 2011 bis 2020, sowie 2) einem Online-Experiment mit N = 1.088 Teilnehmenden beleuchten wir nun den gesamten Prozess des Responsibility Frame Settings. Die Ergebnisse zeigen, dass schon vor der Rezeption der Responsibility Frames auf Seiten der Rezipierenden einige Parallelen zu den Inhalten der untersuchten Medienberichterstattung erkennbar waren: Sowohl in den medialen als auch in den kognitiven Frames wird vornehmlich individuelle Verantwortung zugeschrieben, insbesondere für die Ursachen von Typ-2-Diabetes. Nach Rezeption der Responsibility Frames veränderten sich die Attributionen überwiegend in die Richtung des rezipierten Frames. Insgesamt lassen die Ergebnisse auf ein effektives Responsibility Frame Setting schließen, wenngleich einige Differenzen zwischen medialen und Publikumsframes bestehen. Wir diskutieren die Befunde im Hinblick auf methodische Herausforderungen, die Framingforschung sowie die praktische Gesundheitskommunikation.
Isabell Koinig & Sara Atanasova
Ein wichtiges Ziel der Gesundheitskommunikation ist das Empowerment von Individuen durch die Bereitstellung von Information, sowie deren Beeinflussung von und Einbindung in Gesundheitsentscheidungen. Dabei wird das Empowerment-Konzept oft aus der individuellen Perspektive betrachtet. Diese Perspektive vernachlässigt aber die Multidimensionalität und Vielschichtigkeit des Konzepts, denn individuelles Empowerment stellt bspw. auch eine wichtige Voraussetzung für Gruppenempowerment oder kollektives Empowerment dar, da Einzelpersonen immer auch Mitglieder verschiedenster Gruppen sind. Dieser Aspekt soll daher im vorliegenden Beitrag vertiefend thematisiert werden. Dafür möchten wir die Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche von Studien aus den letzten 20 Jahren vorstellen, die sich mit dem Konzept von Empowerment im Bereich der Gesundheitskommu- nikation befassen. Die Ergebnisse unseres Reviews zeigen auf, dass einige allgemeinere Begriffsdefinitionen nach wie vor verwendet werden, jedoch auch eine Tendenz zu spezielleren Definitionen erkennbar ist. Brücken zu neueren Konzepten, wie health literacy oder digitalen Medien stellen noch nicht die Norm dar. Zudem wird auch der Zusammenhang zwischen individuellem und kollektiven Empowerment häufig vernachlässigt.
Dominik Daube, Georg Ruhrmann & Carolin Wehrstedt
In einer Krise, wie der COVID-19-Pandemie, ist die Verbreitung aktueller Ereignisse und evidenzbasierter Maßnah- men essenziell. Diese müssen zügig und korrekt kommuniziert werden, gerade journalistische Massenmedien haben dabei eine Schlüsselrolle. Es ist daher wichtig zu verstehen, wie sich die Bevölkerung informiert und wie einzelne Informationsanbietende bewertet werden. Bisher wurden genutzte Informationsquellen häufig isoliert betrachtet. Der Einfluss von wahrgenommener Glaubwürdigkeit und Qualität der Informationsanbietenden auf die Bereitschaft, pandemiebezogene Maßnahmen umzusetzen, wurde kaum analysiert. Die vorliegende Studie untersucht das Informationsverhalten in der Pandemie – unter Berücksichtigung journalistischer Medienformate – und inwiefern die Anbietendenbewertung die Maßnahmenakzeptanz beeinflussen könnte. Eine repräsentative Online-Befragung (N = 608) Anfang 2022 zeigt, dass journalistisch vermittelte Informationen mit Abstand häufigste und knapp hinter der Wissenschaft wichtigste Informationsquelle in der Pandemie sind, wenngleich die Qualität journalistischer Informationen nur knapp überdurchschnittlich eingeschätzt wird. Informationen von Politiker:innen werden qualitativ schlechter eingeschätzt. Gleichzeitig zeigt sich nur für die durch Politiker:innen kommunizierten Informationen ein signifikanter Zusammenhang zur affektiven Pandemiebewertung, welche mit der Bereitschaft, pandemiebezogene Maßnahmen umzusetzen, zusammenhängen könnte.
Hanna Lütke Lanfer & Janna Landwehr
(geteilte Erstautor:innenschaft)
Partizipative Forschung überschreibt eine Reihe von Ansätzen, deren Grundprinzip es ist, gemeinsam ‚mit‘ jenen Personen in Forschungsprozessen zusammenzuarbeiten, die aufgrund bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Annahmen besonders von Forschungsergebnissen und passgenauen Interventionen profitieren würden. Partizipative Gesundheitsforschung wird nicht ‚an‘ den Menschen durchgeführt, sondern strebt die Umverteilung von Machtverhältnissen hin zu einer Gleichberechtigung zwischen verschiedenen Personengruppen, Perspektiven und Fähigkeiten an, ohne ein spezifisches methodisches Vorgehen vorzugeben. Bestehende Machtungleichheiten zwischen Akteur:innen aufgrund ökonomischer, qualifikatorischer, institutioneller und (berufs-)politischer Unterschiede und damit einhergehende notwendige Verhandlungen führen zu Herausforderungen in der Umsetzung. Dies zeigt sich besonders an drei Punkten im Forschungsprozess: a. Ein- und Ausschluss von Beteiligten; b. Umgang mit Ressourcen und Erwartungen unterschiedlicher Gruppen; sowie c. Teilhabe an Entscheidungen. Der Beitrag illustriert diese drei Herausforderungen und Ansätze zu ihrem Umgang anhand von zwei Fallbeispielen. Damit soll deutlich werden, dass Partizipative Gesundheitsforschung kontinuierliche, offene und bisweilen unangenehme Auseinandersetzungen und Reflexionen über Ressourcen, Privilegien, Erwartungen und soziale Normen erfordert. Nur so kann sie ihrem Anspruch auf Teilhabe in der Wissensproduktion gerecht werden.
Moritz Hölzer, Cosima Nellen & Matthias R. Hastall
Warnhinweise auf Lebensmittelverpackungen sind eine vergleichsweise kostengünstige und aufmerksamkeitsstarke Möglichkeit, um die gesundheitlichen Risiken des Konsums aufzuzeigen. Von welchen Aspekten es abhängt, ob und in welchem Ausmaß Warnhinweise intendierte sowie unbeabsichtigte Effekte hervorrufen, ist bislang weitgehend unbekannt. Die vorliegende Studie untersucht die Wirkung von Warnhinweisen auf Energydrink-Dosen und damit bei einem Produkt, das bislang ohne einen auffälligen Warnhinweis bezüglich möglicher gesundheitlicher Risiken aufgrund des hohen Koffein- und Zuckergehalts verkauft wird. In einem 2×2-Online-Experiment (plus Kontroll- gruppe) sahen 222 Teilnehmende eine randomisiert zugeteilte fiktive Energydrink-Getränkedose. Experimentell variiert waren das Vorhandensein vs. Fehlen eines Warnhinweises, dessen farbliche Darstellung und das darauf thematisierte Gesundheitsrisiko. Die Befunde zeigen, dass der initiale Kontakt mit Warnhinweisen bei Rezipierenden Widerstand (Reaktanz) auslöst, aber nicht notwendigerweise die beabsichtigten gesundheitsförderlichen Einstellungs- oder Verhaltensintentionen. Die Wirkung des Warnhinweises war unabhängig von der Farbgebung, die thematisierte Konsequenz Übergewicht bewirkte jedoch einen geringeren intendierten Konsum als die Konsequenz Herzprobleme. Limitationen und Implikationen zum Einsatz von Warnhinweisen werden diskutiert.
Annemarie Wiedicke
Wie oder wem Menschen Verantwortung für die Entstehung von bzw. den Umgang mit Erkrankungen zuweisen, wird entscheidend durch die mediale Darstellung von Verantwortung mittels Responsibility Frames beeinflusst. Diese wiederum stehen in Zusammenhang mit den Vorstellungen der Journalist:innen hinsichtlich gesundheitlicher Verantwortung – den journalistischen Responsibility Frames. Neuere Studien zum Responsibility Framing von Gesundheitsthemen unterscheiden dabei mindestens drei Ebenen gesundheitlicher Verantwortung: Individuum, soziales Netzwerk und Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund widmet sich der vorliegende Beitrag der Frage, inwiefern Journalist:innen individuelle, netzwerkspezifische und gesellschaftliche Verantwortung für die Entstehung von und den Umgang mit Depressionen zuschreiben. Zur Beantwortung dieser Frage wurden 12 leitfadengestützte Interviews mit Journalist:innen, welche für den deutschsprachigen Raum regelmäßig über Gesundheitsthemen berichten, geführt. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass Journalist:innen – in Übereinstimmung mit der medizinischen Evidenz – sowohl die Entstehung als auch den Umgang mit Depressionen auf allen drei Ebenen gesundheitlicher Verantwortung verorten. Zum anderen wird deutlich, dass journalistische Responsibility Frames zu Depressionen stark durch den Hintergrund der Journalist:innen und insbesondere ihre Erfahrungen mit der Krankheit geprägt sind.
Anne-Kathrin May & Doreen Reifegerste
Aufstellungen sind eine zentrale Methode systemischer Beratungs- und Therapiearbeit, um die Interaktionen im sozialen Kontext z. B. von Patient:innen aufzuzeigen. Der Beitrag schlägt eine Brücke von diesen personen- bezogenen Aufstellungen zur analytischeren Anwendung der Aufstellungen für Lehre und Forschung in der Gesundheitskommunikation. Die Autorinnen geben dafür zunächst eine Einführung in die Erforschung sozialer Kontexte in der Gesundheitskommunikation sowie in die Grundlagen systemischer Aufstellungsarbeit. Anhand eines konkreten Falls wird dann die Praxis einer Aufstellung und deren Erkenntnisgewinn für Gesundheitskommu- nikationspraxis umrissen. Darauf aufbauend folgt ein Ausblick, der aufzeigt, wie die Aufstellungsarbeit in der Lehre und Forschung der Gesundheitskommunikation eingesetzt werden kann, um bspw. die sozialen Kontexte in Gesprächen und für Kommunikationsangebote besser wahrnehmen und in Projekten und für Evaluationen besser erheben zu können.
Annemarie Wiedicke, Constanze Rossmann, Jana Sandrock, Linn Julia Temmann, Doreen Reifegerste & Laura Eva-Maria Koch
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie reagierte der Großteil der betroffenen Länder mit Maßnahmen, die das öffentliche Leben weitgehend einschränkten. Gleichzeitig baten Politiker:innen und andere gesellschaftliche Akteur:innen die Menschen, Abstand zu halten und zu Hause zu bleiben. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer für Ursachen und Lösungen der Pandemie als verantwortlich wahrgenommen wurde. Maßgeblich geprägt wird eine solche Verantwortungswahrnehmung durch deren Darstellung in der medialen Berichterstattung mittels Responsibility Frames. Entsprechend setzt sich der vorliegende Beitrag mit den Responsibility Frames in der Berichterstattung zu COVID-19 sowie der Verantwortungswahrnehmung seitens der Bevölkerung in der ersten Welle der Pandemie in Deutschland auseinander. Zu diesem Zweck wurden eine teilstandardisierte Inhaltsanalyse der Printberichterstattung sowie eine bevölkerungsrepräsentative Online-Panelbefragung im Zeitraum Januar bis Mai 2020 durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Medien insbesondere gesellschaftliche Verantwortung hervorhoben, während die Bevölkerung komplexere Verantwortungsattributionen aufwies. Insgesamt aber waren, anders als in der Berichterstattung, individuelle Verantwortungszuschreibungen in der Bevölkerung am stärksten ausgeprägt. Dies ist angesichts der Bedeutung der Verantwortungswahrnehmung für das individuelle Gesundheitsverhalten und die Bereitschaft, politische Maßnahmen zu unterstützen, ein zentraler Befund.
Anne Kraemer, Freya Sukalla & Anne Bartsch
Immer mehr Menschen mit Essstörungen teilen ihren Genesungsweg in Recovery Accounts auf Instagram. Welche Motive hinter der Veröffentlichung stehen, in welcher Rolle sich die Blogger:innen sehen und inwieweit das Führen eines Recovery Accounts aus ihrer Sicht mit dem Genesungsprozess zusammenhängt, stellt eine Forschungslücke dar. Um diese zu füllen, wurden Leitfadeninterviews mit zehn Recovery Bloggerinnen geführt. Die Daten wurden durch eine inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Bloggerinnen den Account vor allem aufgrund von selbstbezogenen Motiven führen, z. B. zum Identitäts- oder Krankheitsmanage- ment. Mit der Zeit gewinnen auch fremdbezogene Motive an Relevanz, z. B. um die Aufklärung Anderer über Ess- störungen zu unterstützen. Das Rollenbild der Bloggerinnen wird vor allem durch ihre persönlichen Erwartungen an Ästhetik, Inhalt, Erfolg und Qualität des Accounts geprägt, wodurch Überschneidungen zum Rollenbild von Influencer:innen erkennbar werden. Den Account zu führen, hat aus Sicht der Bloggerinnen überwiegend positiven Einfluss auf ihre Krankheitsbewältigung und ihre psychische Gesundheit. Triggernde oder kritische Rückmeldungen können den Genesungsprozess hingegen auf negative Weise beeinflussen. Die Studie verdeutlicht, wie Essstörungen in Sozialen Medien verhandelt werden und dass solche Plattformen für den Umgang mit der Erkrankung von hoher Relevanz sind.
Katja Caspar & Paula Stehr
Vor-Ort-Apotheken spielen als niedrigschwellige und leicht zu erreichende Dienstleister eine wichtige Rolle für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Um den demografischen Herausforderungen zu begegnen und die flächendeckende Gesundheitsversorgung sicherzustellen, müssen Apotheken durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) besser mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens vernetzt werden. In der vorliegenden Studie wurden qualitative Leitfadeninterviews (n = 10) durchgeführt, um entlang der Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT) die Technologieakzeptanz von Apothekenpersonal zu untersuchen. Die Determinanten Leistungserwartungen, Aufwandserwartungen, soziale Einflüsse und erleichternde Rahmenbedingungen scheinen auch bei Apothekenpersonal entscheidend für die Verhaltensintention zur Nutzung von IKT zu sein. Über die Spezifikation dieser theoriebasierten Determinanten hinaus lassen sich auf Basis der Interviews erste Rückschlüsse ziehen, dass auch die Berufsgruppe, der Apothekenstandort und das Informa- tionsverhalten die Technologieakzeptanz des Apothekenpersonals beeinflussen. Für weitere Untersuchungen der Technologieakzeptanz des Apothekenpersonals wird eine kontextspezifische Modifikation der UTAUT empfohlen.
Doreen Reifegerste, Petra Kolip und Anna Wagner
Pflicht, Schuld, schlechtes Gewissen, aber auch Fürsorge und Solidarität sind Begriffe, die häufig im Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit auftauchen. Sie sind eng mit dem Konzept Verantwortung verbunden, welches für das Gesundheitsverhalten einer der zentralen Treiber ist. Für den Erfolg von gesundheitsbezogenen Veränderungsprozessen (sowohl bei Individuen als auch gesamtgesellschaftlich) ist aber nicht nur wesentlich, wer und was für die Ursachen, die Prävention oder die Heilung verantwortlich ist, sondern vielmehr, wem diese Verantwortung zugeschrieben wird, d. h. welche Wirklichkeitskonstruktionen oder Frames in Mediendarstellungen, Gesprächen oder politischen Stellungnahmen damit verbunden sind. Vor diesem Hintergrund lautete der Tagungstitel der 7. Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation „Wer macht wen für Gesundheit (und Krankheit) verantwortlich?“ Sie fand vom 16. bis 18. November 2022 als Hybridtagung an der Universität Bielefeld statt. Neben einer thematischen Einführung geben wir hier einen kurzen Überblick über die 16 Beiträge, die uns einerseits Erkenntnisse über diese Fragen der Verantwortungsattributionen zu vermitteln, andererseits aber auch weitere Themen der Gesundheitskommunikation (wie z. B. interdisziplinäre Lehre) aufgreifen.
Nariman Sawalha & Constanze Rossmann
Wenngleich die Zusammenarbeit zwischen unabhängigem Gesundheitsjournalismus und interessengeleiteten Pharmakonzernen nicht inhärent falsch ist, erzeugt sie ein medienethisches Spannungsfeld, das sich nachteilig auf die Bewertung und das Vertrauen in den Journalismus auswirken kann. Transparenzhinweise (d.h. Begleitinformationen in journalistischen Beiträgen, die bspw. Pharmakonzerne als Finanzgeber offenlegen) sollen dem entgegenwirken. In einem Online-Experiment (N = 266) haben wir daher den Einfluss der Transparentmachung von Pharma-Lobbyismus in einem gesundheitsjournalistischen Zeitungsartikel auf die Glaubwürdigkeitswahrnehmung, die Qualitätsbewertung sowie das Vertrauen in Medium und Journalist:in seitens der Rezipient:innen untersucht. In einem 2x3 Design variierten wir den Transparenzhinweis nach seiner Länge (kurz, lang) und seiner Position (Anfang, Kasten, Sternchen) im Text. Die Kontrollgruppe erhielt denselben Artikel, jedoch ohne Hinweis auf die Zusammenarbeit mit dem im Text thematisierten Pharmakonzern. Die Ergebnisse zeigen, dass die Position des Hinweises (im Gegensatz zur Länge) einen signifikanten Einfluss hatte. Konkret wurde der Artikel mit mittig platziertem Infokasten am positivsten und vertrauenswürdigsten bewertet. Dies deutet darauf hin, dass ein Transparenzhinweis, der sich durch seine Gestaltung deutlich vom Nachrichtentext abhebt, als moralisch eher vertretbar eingestuft wird als solche, die sich eher unauffällig in den Fließtext einfügen.
Celine Dorrani & Freya Sukalla
Psychische Erkrankungen wie Angststörungen sind in der Öffentlichkeit noch immer stark stigmatisiert. Eine Strategie der Stigmatisierung entgegenzuwirken, ist das Fördern der Perspektivübernahme, bei der Individuen aktiv die Perspektive einer stigmatisierten Person einnehmen und sich bestimmte Situationen aus dieser heraus vorstellen. Videospiele, bei denen die Avatare mit psychischen Erkrankungen konzipiert werden, ermöglichen Spielenden aktiv Erfahrungen aus dieser Perspektive heraus zu machen. Ziel dieser Studie ist es, die Perspektivübernahme beim Spielen eines Videospiels mit einer Hauptfigur mit Angststörung zu untersuchen und im Hinblick auf die (Ent-)stig- matisierung von Menschen mit Angststörungen zu analysieren. Hierfür wurden 21 fokussierte Leitfadeninterviews durchgeführt, bei denen die Teilnehmenden gebeten wurden, das Puzzle-Adventure Spiel Fractured Minds (2019), welches Angststörung zentral als Erkrankung des zu steuernden Avatars aufgreift, zu spielen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Spiel die Symptome und Herausforderungen von Menschen mit Angststörungen transportieren kann. Vor allem die Spielmechaniken regen dabei die Perspektivübernahme an. Bei bewusster Perspektivübernahme von Personen mit Angststörungen trägt Fractured Minds zu wissensbasierter und emotionaler Aufklärung bei. Gleichzei- tig kann das Spiel falsche Vorstellungen der Krankheit erzeugen oder bereits vorherrschende falsche Vorstellungen bestätigen und so Stigmatisierung verstärken.
Gesundheitskommunikation und Geschichte. Interdisziplinäre Perspektiven
Vivien Kretschmer
Schon im frühen Alter wird in Schulen den Kindern das menschliche Sexualleben mit allen Risiken aber auch den positiven Seiten näher gebracht. Somit können ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Infektionen oder andere negative Folgen von Unwissenheit um das Thema Sexualität vermieden und fundiertes Wissen darüber generiert werden. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Sexualaufklärung der heutigen Zeit. Er fokussiert sich auf die Sexualaufklärung im Kontext der Schule und thematisiert hierbei die verschiedenen Kommunikationsformate. Wichtig bei einer Sexualaufklärung in der Schule ist das interaktive Lernformat. Die Schüler*innen sollen durch Fragen, Diskussionen und Reflexionen von eigenen Erfahrungen den Verlauf der Lerneinheiten mitbestimmen dürfen. Ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit sind die Anforderungen an die Fachkräfte. Lehrer*innen und Erzieher*innen benötigen unterschiedliche Kompetenzen und Qualifikationen in Bezug auf die altersgerechte Vermittlung von Themen der Sexualität. Empathiefähigkeit spielt hierbei eine große Rolle. Außerdem bietet dieser Beitrag einen kleinen Exkurs zur Sexualaufklärung in anderen europäischen Ländern. Schwerpunkte sind die Themen und Ziele der Sexualaufklärung in Finnland, Estland, Niederlande, England und Spanien.
Claudia Böttcher1, Charmaine Voigt2
Die DDR-Führung nutzte das Massenmedium Fernsehen als ein politisches Instrument zur Ernährungsprävention. In der vorliegenden Untersuchung steht der konkrete Zusammenhang zwischen der Versorgungssituation der DDR in den 1980er Jahren und der ernährungsbezogenen Gesundheitsaufklärung anhand der Ratgebersendung HAUSHALTS-ALLERLEI PRAKTISCH SERVIERT (HAPS) im Fokus. Die Sendereihe ist dabei als Teil einer gesundheitspolitischen Strategie der DDR einzuordnen, die darauf abzielte, althergebrachte ungünstige Ernährungsmuster aufzubrechen, um nicht zuletzt die Kosten der Gesundheitsversorgung zu reduzieren. In allen vier exemplarisch analysierten Sendungen von 1984, 1987, 1989 und 1990 konnten explizit vermittelte Ernährungs- botschaften eruiert werden. Neben sachlich-informativen konnten allerdings auch unterhaltende Sendungselemente identifiziert werden, die nicht durchgehend zur Gesundheitsförderung beitragen.
Patrick Rössler
In seinem fünfbändigen Werk "Das Leben des Menschen" erklärte der Mediziner Fritz Kahn (1888–1968) der bildungshungrigen Mittelschicht der Weimarer Republik die Anatomie, Biologie, Physiologie und Entwicklungsgeschichte des Menschen. Zwischen 1922 und 1931 veröffentlicht, gilt seine enzyklopädische Gesamtdarstellung heute als eine der Meisterleistungen populärer Wissenschaftsvermittlung und – wegen der weit über 1.000 Abbildungen auf Tafeln – als ein Meilenstein der visuellen Kommunikation. Der Beitrag untersucht die Visualisierungsstrategien des Werkes und seine Vermittlungswege, auch im Hinblick auf aktuelle Ansätze der Gesundheitskommunikation.
Doreen Reifegerste, Christian Sammer
In dieser Einführung des Open-Access-Sammelbandes „Gesundheitskommunikation und Geschichte. Inter- disziplinäre Perspektiven“ stellen wir die Beiträge und ihre verbindenden Elemente sowie die Zielstellungen des Sammelbandes vor. In diesem Band geht es darum zu überprüfen, ob man voneinander lernen kann: Der Band versammelt geschichts-, kultur- und kommunikationswissenschaftliche Zugänge auf die Historizität des Redens, Schreibens und Zeigens der Bedingungen von Gesundheit und Krankheit. Sein Ziel ist, im Zusammenklang seiner Artikel mögliche interdisziplinäre Perspektiven, Zugänge, Materialien und Methoden auszuloten. Wir wollen tastend erfragen, ob und inwieweit die gegenseitige Irritation, die interdisziplinäre Vorhaben auslösen, nicht nur verunsichert, sondern auch eine konstruktive Unruhe auslöst. Dafür bietet der Band verschiedene Zugangswege durch unterschiedliche Strukturierungsansätze an. Dementsprechend werden die Beiträge anhand der (1) Gesund- heitsthemen, der (2) Chronologien sowie Kontinuitäten, Analogien und Brüchen, der (3) Kommunikationsformate und (4) der damit verbundenen Sammlungen bzw. Institutionen vorgestellt. Abschließend werden auch Hinweise zu den ergänzenden digitalen Materialien gegeben.
Eva Theresa Graf, Franziska Schiefeneder
Nicht nur heute werden spezielle Kommunikationstechniken eingesetzt, um Menschen zu überzeugen – auch die Nationalsozialisten versuchten mit propagandistischen Mitteln Ziele zu erreichen. Die Vision des „gesunden Volkskörpers“ stand dabei im Fokus der Nationalsozialisten, denn in der nationalsozialistischen Ideologie hatte insbesondere die körperliche Verfassung der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. In der NS-Ideologie bildete der „arische“ Körper das Ideal des „neuen Menschen“. Die biologischen Eigenschaften eines Menschen sowie dessen „rassischer Wert“ entschieden darüber, ob der- oder diejenige in die „Volksgemeinschaft“ ein- oder davon ausgeschlossen wurde. Zur Schaffung eines „gesunden Volkskörpers“ wurden „Erbkranke“ getötet und „Erbgesunde“ „gezüchtet“. Eine „Ausmerzung“ von „Erbkranken“ erfolgte beispielsweise im Rahmen der Aktion T4, in der über 70.000 geistig kranke und behinderte Menschen systematisch ermordet wurden. Im Gegensatz dazu wurde in den Heimen des Lebensborn e. V. eine – in den Augen der Nationalsozialisten – „wertvolle Rasse“ „herangezüchtet“. Bei diesem Verein handelte es sich jedoch keinesfalls um eine Wohltätigkeitsorganisation, denn die Lage von (ledigen) Schwangeren wurde ausgenutzt und es wurden lediglich diejenigen Frauen geschützt, die einen „rassisch wertvollen“ Nachwuchs gebären würden. Doch wie haben es die Nationalsozialisten geschafft dieses „Ideal des Volkskörpers“ zu kommunizieren? Dies soll im Beitrag genauer beleuchtet werden.
Mara Berlekamp
Sexuell übertragbare Krankheiten (STI) beschäftigen Menschen seit jeher. Nachdem Sexualität und Fragen sexuellen Verhaltens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Diskurs jedoch weitgehend tabuisiert waren, rückte das Thema Geschlechtskrankheiten während der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert immer mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses. Die Aufklärung der breiten Bevölkerung über die Geschlechtskrankheiten und der damit verbundene Wunsch nach Prävention wurde zu einer wichtigen Aufgabe erklärt. Bis heute sind die Förderung sexueller Gesundheit und die STI-Prävention elementarer Bestandteil der Gesundheitskommunikation. Dieser Beitrag widmet sich einer kommunikationswissenschaftlichen Analyse der hierfür eingesetzten Botschaftsstrategien im frühen 20. Jahrhundert. Dafür werden unterschiedliche Aufklärungsmaterialien im Kontext der historischen öffentlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen analysiert. Auf Basis dessen findet zudem ein Vergleich der historischen Persuasionsstrategien mit Strategien aktueller Angebote zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten in Deutschland statt.
Helene Baumbach
Die Themen HIV und AIDS prägten in den 1980er Jahren die Gesundheitsaufklärung in Deutschland. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Bundesrepublik Deutschland und das Deutsche Hygiene-Museum Dresden für die Deutsche Demokratische Republik agierten als zentrale Einrichtungen zur umfassenden Aufklärung über das Virus, seine Verbreitungswege und die Erkrankung auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während in der BRD an die Eigenverantwortung und Solidarität gegenüber Betroffenen appelliert wurde, standen in der DDR ganz andere Werte wie die Treue und Stabilität in der Partnerschaft im Vordergrund der Aufklärung. Die unterschiedlichen Wertesysteme in Ost- und Westdeutschland wirkten sich somit auch auf verschiedene Art und Weise auf die Aufklärungsarbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Deutschen Hygiene-Museums Dresden in beiden deutschen Staaten aus. So wählte die sich immer als fortschrittlich verstehende DDR einen eher konservativen, kleinbürgerlichen Weg, während in der BRD aktiv mit sexuell definierten Randgruppen zusammengearbeitet wurde. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher aufzuzeigen, welchen Einfluss politische Systeme auf die Gesundheitsaufklärung hatten. Dafür wird zunächst die gesundheitspolitische Ausgangssituation in den beiden Staaten skizziert. Anschließend werden die verschiedenen Aufklärungsansätze anhand der Kampagnenlogik rekonstruiert und miteinander verglichen.
Susanne Roeßiger
Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden (DHMD) versteht sich heute als ein Forum für aktuelle Fragestellungen, die sich aus den gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Gegenwart ergeben. Aktuell und anhand von historischen Perspektiven werden hier Aspekte des menschlichen Lebens wie Körperanatomie, Leben und Sterben, Sexualität und Ernährung behandelt. Das DHMD erlebte seit 1912 wechselnde politische Systeme und war in diesen maßgeblich an Kampagnen beteiligt. Die Austellungsstücke geben somit auch Auskunft über Wissenstand und Auffassungen ihrer Entstehungszeit und lassen einen Wandel in der Wissensvermittlung deutlich werden. Beispielhaft kann dies an der Sexualaufklärung anhand von Körpermodellen nachvollzogen werden. Die Modelle entwickelten sich von solchen, die die Schwangerschaft und Geburt zeigten und damit die Sexualität zwischen Mann und Frau zum Zwecke der Fortpflanzung propagierten, hin zu einer progressiven Sexualaufklärung, die eine Abkehr von dem normativen Zwei-Geschlechter-Modell durch bunte, teils flauschige intergeschlechtliche Genitalorgane zeigt. Ein solcher Wandel ist ebenfalls in der Kommunikation zu sexuell übertragbaren Krankheiten und Ernährungs- kampagnen zu beobachten, welche insbesondere durch Plakate in die Öffentlichkeit gebracht wurden. Im Gegensatz dazu ist in der Geschichte der Impfkampagnen so wenig Wandel zu beobachten, dass ein historischer DDR-Aufklärungsfilm aus dem Jahr 1968 genutzt wird, um für die Corona-Schutzimpfung zu werben.
Helene Paschold
Die Aufklärung über HIV und AIDS durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland war wegweisend für die Renaissance gesellschaftsbezogener Reaktionsweisen auf Infektions- krankheiten in der Bundesrepublik am Ende des 20. Jahrhunderts. Im Zuge der Pandemie in den 1980er-Jahren entwickelten sich in Westdeutschland Konzepte und Grundlagen für die partizipative Aufklärung über Gesundheitsprobleme, die ihre sozialen Probleme in den Blick nehmen und nach 30 Jahren noch immer Anwendung finden. In diesem Beitrag wird die Evaluation von Gesundheitskommunikationskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu HIV und AIDS von 1987 bis 2017 mittels qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse untersucht, um deren These des evaluationsgestützten Lernens zu überprüfen. Abschließend wird diskutiert, inwiefern die Evaluationsstudien zu einer Weiterentwicklung der Aufklärungsarbeit und des Verständnisses für Kampagneneffekte beigetragen haben.
Lena Lehrer
Die positiven psychischen Effekte von Bewegung treten am ehesten dann auf, wenn gesundheitliche Aspekte das stärkste Motiv darstellen. Gleichzeitig lassen sich diese Effekte jedoch am seltensten bei jungen Frauen beobachten. Eine mögliche Erklärung liegt in der erhöhten Relevanz der Attraktivität als Motiv zur sportlichen Betätigung unter Frauen, wobei die Gesundheitsförderung selbst dann in den Hintergrund rückt. Der vorliegende Beitrag fasst den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Zusammenhang zusammen. Es werden insbesondere die Verknüpfung von Gesundheit und Attraktivität sowie die Verwendung von Appearance-Frames in der Bewegungsförderung thematisiert und beispielhaft auf deren Einsatz ab der Mitte des 20. Jahrhunderts eingegangen. Dabei werden zunächst die geläufigsten Motive von Bewegung sowie mögliche Folgen dargestellt, wobei zum Verständnis die Objektifizierungstheorie von Fredrickson und Roberts (1997) herangezogen wird. Die Erkenntnisse zur Kommunikation in diesem Kontext deuten insgesamt darauf hin, dass das Framing der Bewegungsförderung Einfluss auf ihre Auswirkungen nehmen kann.
Solveig Lena Hansen
Seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes (TPG) im Jahr 1996 werden in Deutschland massenmediale Kampagnen zur Organtransplantation verbreitet. Plakataktionen sind ein wichtiger Teil dieser Kampagnen. In diesem Aufsatz wird die historische Entwicklung der Plakate mittels einer Kontextanalyse rekonstruiert, gestützt durch Expert*inneninterviews und multimodale Inhaltsanalysen. Dadurch werden Veränderungen identifiziert und die Kampagnenlandschaft wird als gewachsene Praxis von Akteuren des Gesundheitssystems reflektiert. Es zeigt sich erstens, dass die Kampagnen eng mit der Entwicklung des deutschen Transplantationswesens verknüpft sind. Ihre Ziele sind erklärungs- bzw. legitimierungsbedürftig: Aus historischer Sicht können sie sich mit ihren Kontexten ändern. Aus ethischer Sicht ist zentral, ob bestimmte Ziele der Kampagnen konfligieren und wie diese Konflikte so gelöst werden können, dass sie möglichst wenig Schaden erzeugen. Es zeigt sich zweitens, dass Akteure auf Zäsuren im Transplantationswesen mit persuasiven Kommunikationsstrategien zur Erhöhung der Organspendebereitschaft reagierten. Zunehmend ist jedoch eine Offenheit in der Wahl der Botschaften zu erkennen und den Plakaten liegt heute die Förderung einer selbstbestimmten und gut informierten Entscheidung zu Grunde – ein zukunftsweisender Weg für das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende, welches 2022 in Kraft getreten ist.
Linn Julia Temmann
Die weltweit steigende Prävalenz von Übergewicht und Adipositas wird häufig auch als „Epidemie“ bezeichnet. Gleichzeitig werden Menschen mit einem hohen Körpergewicht in vielen Lebensbereichen stigmatisiert oder diskriminiert. Dazu gehört auch eine unvorteilhafte bis offen herabwürdigende Darstellung in den Medien, sei es in journalistischen Beiträgen, staatlichen Anti-Übergewichtskampagnen oder in Unterhaltungsformaten. Um zu erklären, warum Menschen mit einem höheren Körpergewicht so häufig abgewertet werden, ist das Konzept der Verantwortungszuschreibung besonders geeignet. Denn wie bei kaum einem anderen Gesundheitsproblem wird hier vorausgesetzt, dass die Regulation des Körpergewichts in der individuellen Verantwortung liegt, etwa durch eine disziplinierte Ernährung und Bewegung. In dem vorliegenden Beitrag gebe ich einen Überblick über vorherrschende Deutungsmuster zum Thema Verantwortung und Übergewicht vom 19. Jahrhundert bis heute. Anhand von historischen und aktuellen Beispielen aus Werbung, Literatur und strategischer Gesundheitskommunikation wird erläutert, welche Entwicklungen zum heutigen Verständnis von Übergewicht beigetragen haben. Unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes zum Responsibility Framing werden schließlich ethische Implikationen für die heutige Gesundheitskommunikation aufgezeigt.
Michael Markert
Medizinische Fachsammlungen und ihre Schaustücke spielen in der Regel in breiten gesellschaftlichen Diskursen keine Rolle. Eine so eigenwillige wie interessante Ausnahme ist die „Humanembryologische Dokumentations- sammlung Blechschmidt“ am Zentrum Anatomie der Universitätsmedizin Göttingen. Sie geht auf den Anatomen Erich Blechschmidt (1904-1992) zurück, der von 1942 bis 1973 die Göttinger Anatomie leitete, dort einen humanembryologischen Schwerpunkt etablierte, mit ärztlicher Unterstützung Hunderte embryonaler Präparate sammelte und auf dieser Grundlage Forschungsmodelle herstellen ließ. Entstanden ist so neben einer Referenzsammlung histologischer Schnittserien eine beeindruckende Fachausstellung mit dutzenden, ausgesprochen detaillierten Kunststoffmodellen menschlicher Embryonen. Diese Ausstellung ist bis heute auch für ein Laien zugänglich und diente während der 1980er und 1990er Jahren im öffentlichen Diskurs um den Schwangerschaftsabbruch als fragwürdiger wissenschaftlicher Beleg dafür, dass jeder Embryo ein vollwertiger Mensch und deshalb vor Abtreibung zu schützen sei. Im Beitrag werde ich der Beziehung zwischen hochspezifischer Fachausstellung und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung nachgehen. Vorgestellt werden verschiedene Lesarten der Modellausstellung, die um Embryologie, Moral, NS-Verbrechen und Wissenschaftsgeschichte kreisen und die Frage aufwerfen, wie im Ausstellungsraum die vielfältigen historischen Kontexte sichtbar gemacht werden können.
Johanna Lessing
Der Herausforderung, eine Ausstellung über eine Pandemie während einer Pandemie zu gestalten, hat sich das Deutsche Medizinhistorische Museum Ingolstadt (DMMI) angenommen. Die Ausstellung „Die Ingolstädter Maskentonne. Eine Corona-Ausstellung mit medizinhistorischen Bezügen“ vom 10. Dezember bis zum 16. Mai 2021 thematisiert die lokalen Strategien der Pandemiebekämpfung in Ingolstadt. Im kuratorischen Prozess war die rasche Entwertung immer neuer Wissensstände zur Covid-19-Pandemie eine stete Begleitung. Die begrenzte Haltbarkeit und der vorläufige Charakter von Wissen zur Pandemie wurden szenografisch wie erzählerisch in der Ausstellung transparent gemacht. Als Ausstellung ist die "Ingolstädter Maskentonne" ein Zwischenstand. Sie verweist auf ihre Nähe zur Gegenwart, indem sie sich von ihr unterscheidet. Für die objektbasierte Vermittlung der (zukünftigen) Geschichte der Covid-19-Pandemie macht sie auf die Rolle von Museen und medizinhistorische Sammlungen aufmerksam.
Sascha Salatowsky
Im Beitrag beschreibe ich ausgewählte Aspekte des Gesundheitswesens im deutschsprachigen Raum der Frühen Neuzeit. Dabei spielen obrigkeitliche Verordnungen zur Regelung des Gesundheitswesens ebenso eine wichtige Rolle wie die verschiedenen Akteure in einer überwiegend ländlich und ständisch geprägten Gesellschaft. Auf die stationären Gesundheitseinrichtungen der Hospitäler, Apotheken und Heilbäder aufbauend entwickelte sich ein ausdifferenziertes Gesundheitssystem, das unter hygienisch und medizinisch schwierigen Bedingungen ein hohes Vertrauen der Bevölkerung genoss. Ein Großteil der Behandlungen wurde von praktisch ausgebildeten Barbieren, Badern, Wundärzten, „Kräuterhexen“, Hebammen und Chirurgen vor Ort erbracht. Die gelehrten Mediziner waren dagegen fernab an den wenigen Universitäten in der Lehre für den akademischen Nachwuchs tätig oder praktizierten in den größeren Städten. Sie repräsentierten das Gelehrtenwissen und veröffentlichten in hoher Zahl ihre überwiegend in lateinischer Sprache verfassten Schriften. Eine Ausnahme hiervon bildeten die sogenannten Pesttraktate, die den Bewohnern in deutscher Sprache Handlungsanleitungen an die Hand gaben, wie man sich vor den Seuchen schützen könne.
Doreen Reifegerste, Anna Wagner
(Globale) Pandemien stellen das Gesundheitshandeln und die Gesundheitskommunikation von Gesellschaften seit jeher vor enorme Herausforderungen. Obgleich sich Pandemien im Laufe der Geschichte stark unterschieden haben und sich in divergierenden historischen Kontexten ereigneten, so ähnelt sich dennoch der Umgang mit und die Kommunikation zu pandemischen Krisen zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten. In diesem Beitrag blicken wir auf die Gesundheitskommunikation rund um pandemische Krisen in verschiedenen Epochen und unterschiedlichen Medien- und Kommunikationslandschaften und fokussieren auf die historischen Gemeinsamkeiten der Pandemiekommunikation. Auf Basis einer inhaltlichen Strukturierung und in Anlehnung an die Lasswell-Formel arbeiten wir dabei die historischen Analogien der Pandemiekommunikation mit Blick auf die Kommunikator*innen, Medieninhalte, Medien- und Kommunikationskanäle, das Publikum sowie deren Medienwirkungen heraus und identifizieren spezifische überzeitliche Phänomene und Muster der pandemischen Kommunikation.
Annemarie Wiedicke
Bewegung und Sport unterliegen normativen Vorstellungen: Sie repräsentieren Ideale und Fähigkeiten weit über das eigentliche Sporttreiben hinaus. Durchtrainierte Körper stehen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit im privaten und beruflichen Alltag, aber auch für Erfolg, Potenz und Kampfbereitschaft. Vor diesem Hintergrund analysiert der vorliegende Beitrag exemplarisch verschiedene historische Beispiele strategischer Kommunikation zur Bewegungsförderung aus der Zeit der NS-Diktatur sowie der DDR. Kontrastierend wird eine zeitgenössische Gesundheitskampagne der BZgA vorgestellt. Dies geschieht mit Blick auf die normativen Aspekte von Kommunikation in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Anhand der betrachteten Beispiele zeigt sich insbesondere der Wandel von einer kollektivistischen zur einer individualistischen Leitnorm. Des Weiteren wird eine Veränderung des Verständnisses von Gesundheit deutlich, welches der Kommunikation zugrunde liegt. Die Thematik bietet dabei eine Vielzahl von Möglichkeiten für Anschlussbetrachtungen: So könnte bspw. mittels einer systematischen, standardisierten Bildinhaltsanalyse ermittelt werden, ob der Zweite Weltkrieg mit einem Bruch in der Kommunikation des NS-Regimes zur Bewegungsförderung einherging. Weiterhin wäre ein Vergleich der normativen Prämissen der Kommunikation zwischen der BRD und der DDR denkbar.
Anna-Maria Theres Schüttel
Gegenwärtig hat sich der schlanke Körper zum Idealbild für Frauen in allen Altersgruppen etabliert. Schlankheit bildet somit einen festen Bestandteil des weiblichen Schönheitsideals sowie der Geschlechterrolle. Insbesondere die Medien prägen das gesellschaftliche Körperideal und dessen Wahrnehmung. Ebenso sind Medien dafür verantwortlich, dass Körper- und Schönheitsideale immer präsenter und nachahmenswerter erscheinen. So werden in der Werbung präsentierte Darsteller*innen als repräsentant für die gesamte Bevölkerung wahrgenommen und prägen somit gesellschaftliche Idealvorstellungen maßgeblich. Körperideale sind jedoch keine geschichtslosen Erscheinungen, sondern weisen historische Prägungen auf. Sie stellen ein Symbol der jeweiligen Gesellschaft dar und sind von deren Strukturen geprägt. Im vorliegenden Beitrag werden zwei Werbeanzeigen für Körpergewichtsregulierungsprodukte aus den Jahren 1967 und 2016 gegenübergestellt, um die mediale Aufbereitung und Kommunikation von Körperidealen im zeitlichen Verlauf näher zu beleuchten. Außerdem wird die Verbreitung der Personenwaage als Selbstvermessungsinstrument im 20. Jahrhundert in Haushalten vorgestellt. Dies zeigt wie auch die Vermessung als Methode der Selbstnormalisierung (durch Einübung des Selbstabgleichens mit der Norm) Zusammenhänge mit der Verbreitung des vorherrschenden Körperideals aufweist.
Uta Schwarz
Die Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist es, verantwortungsbewusstes und gesundheitsgerechtes Verhalten der Bevölkerung zu förden. Dazu gehören beispielsweise die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen, die Suchtprävention und die Organspende. Die Strategien, Methoden und Konzepte zur Erfüllung dieser Aufgaben sind im stetigen Wandel. Sie orientieren sich an aktuellen Präventionskonzepten und einem zeitgenössischen themen- und zielgruppenspezifischen Medienmix. Dazu gehören zum Beispiel Ausstellungen, die nicht museal entrückt, sondern in das Setting der Bevölkerung geholt und aufmerksamkeitserregend in Innenstädten und Schulen aufgebaut werden. Während Plakate mit einprägsamen Slogans im Straßenbild für ein unmittelbares Wahrnehmen und Verstehen im Vorbeigehen eingesetzt werden, dienen Printbroschüren der Vermittlung von neuen oder umfangreichen Informationen. Im Gegensatz zu diesen historisch relativ konstanten Medienarten sind audiovisuelle Medien einem stärkeren und ständigem Wandel unterworfen, zu dem seit den 1990er Jahren das Internet hinzukam. Auf die seit den späteren 1980er Jahren in TV und Kino eingesetzten Filmspots folgen im Internetzeitalter nach Zielgruppen ausdifferenzierte Webpräsenzenmit neuen audiovisuellen Formaten. Erklärvideos, Podcast und Kanäle auf Youtube und Instagram sollen vor allem auch jüngere Menschen zeitgemäß ansprechen.
Jana Sandrock
Die Ansprache von gesundheitsrelevanten wie -bezogenen Themen erfolgt heutzutage über die unterschiedlichsten Wege. Innerhalb der Medien stellen klassische Printmedien und Bewegtbildformate derweil die dominierenden Basismedien dar. Auditiven Medien, wie dem Radio oder dem Podcast, wird bisweilen eine vergleichsweise geringe Bedeutung zugesprochen. Einzelne Gesundheitskampagnen zogen in den vergangenen Jahren jedoch auch immer wieder verschiedene Hörmedien in Betracht. Vor diesem Hintergrund widmet sich der nachfolgende Beitrag dem Einsatz von auditiven Medien in der Gesundheitskommunikation. Hierzu wird die historische Entwicklung der ausgewählten Hörmedien skizziert sowie eine Auswahl historischer wie aktueller gesundheitsbezogener Hörformate vorgestellt. Darauf aufbauend wird der Stellenwert auditiver Medien innerhalb der Gesundheitskommunikation diskutiert.
Sophia Schaller
Während die HIV-Neuinfektionsrate mittlerweile auf einem niedrigen und stabilen Niveau ist, sind die Erkrankungszahlen verschiedener sexuell übertragbarer Infektionen (STI, z. B. Syphilis) in den letzten Jahren stark angestiegen. So ist neben der Prävention einer Infektion mit HIV heute auch die Prävention von anderen STI durch die mediale Aufklärung über Ansteckungswege, Schutzmaßnahmen und Symptome von großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit. Dementsprechend hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit kommunikationsstrategische Aufgaben für die STI-Prävention übernimmt, ihre ursprüngliche Kampagne GIB AIDS KEINE CHANCE schrittweise zur STI-Kampagne LIEBESLEBEN entwickelt. Zur Veranschaulichung dieses Wandels zeichnet der vorliegende Beitrag die Kampagnenkommunikation der BZgA seit 2008 nach.
Jahrestagung der Fachgruppe Soziologie der Medienkommunikation der DGPUK 2019
Sigrid Kannengießer, Peter Gentzel, Cornelia Wallner, Jeffrey Wimmer
Die vorliegenden Proceedings adressieren institutionalisierte Formen kritischer Kommunikations- und Medienanalyse in und neben der DGPuK. Die von Mitgliedern der verschiedener Netzwerke verfassten Texte sowie die Studie Jöckel und Stroh über die Resonanzerfahrungen junger Erwachsener zeigen, dass kritische Perspektiven auf die Gegenstände der Kommunikationswissenschaft einen festen Bestandteil in diesem bilden und dass eine kritische Selbstreflexion der Kommunikationswissenschaft durch Fachvertreter*innen stattfinde und damit das Fach (sebst)kritisch weiterentwickelt wird.
Jörg-Uwe Nieland
Der Beitrag stellt die Initiative Nachrichtenaufklärung vor. Die 1992 gegründete Initiative veröffentlicht jährlich die Top Ten der vernachlässigten Themen in journalistischen Medien und plädiert für eine Intensivierung der (kommunikations-)wissenschaftlichen Beschäftigung mit Nachrichtenaufklärung und Kritik im Austausch mit Praktiker*innen. Bei der Frage nach den Gründen für Nachrichtenvernachlässigung präzisiert die Initiative die Kritik an der Thematisierungsfunktion, also die Art und Weise, wie Journalist*innen Themen, Ereignissen und Nachrichten auswählen bzw. ausschließen. Im Rahmen des zusammen mit dem Deutschlandfunk veranstalteten „Kölner Forums Journalismuskritik“ und zahlreichen Publikationen beschäftigt sich die Initiative mit der „negative Nachrichtenwerttheorie“, dem „Agenda Cutting“ sowie den im Zusammenhang mit Boulevardisierung und Personalisierung zunehmende Verbreitung von „Junk Food News“. Die Initiative Nachrichtenaufklärung vergibt außerdem den „Günter Wallraff-Preis für kritischen Journalismus und Zivilcourage“, der Journalist*innen, Aktivis*innen und Organisationen führ ihre investigative Arbeit, ihre Zivilcourage sowie das Eintreten für Redefreiheit und unabhängige Medien ebenso wie Menschenrechte auszeichnet.
Larissa Krainer
Die Initiative Öffentliche Medien- und Kommunikationswissenschaft engagiert sich seit Anfang 2019 für eine stärkere wissenschaftliche Beteiligung an aktuellen öffentlichen Diskursen und die Mitwirkung an der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen, die der wissenschaftlichen Expertise für Medien bzw. für öffentliche Kommunikation bedürfen. Dabei stützt sie Medienorganisationen als gesellschaftliche Instanzen der Kritik, tritt gegen problematische Phänomene wie bewusste Desinformation auf und sucht nach Wegen, fachspezifische wissenschaftliche Anforderungen mit allgemeinen gesellschaftspolitischen Aufgaben von Wissenschaft zu verbinden.
Marlen van den Ecker, Mandy Tröger
Im Jahr 2017 gründete sich das Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft (KriKoWi) als eine Antwort auf theoretische und forschungspraktische Lücken in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft (KoWi). Dieser Beitrag geht auf Kritiken sozialwissenschaftlicher Forschung ein, an denen sich der Kritikbegriff des Netzweks in der fachübergreifenden Debatte grob orientiert. Dem folgt eine theoretisch-praktische Herleitung dieses Kritikverständnisses in Form von fünf Thesen. Abschließend geben wir eine Zusammenfassung der Ziele des Netzwerkes und Ausblicke auf aktuelle und zukünftige Projekte.
Liane Rothenberger1, Stephanie Geise2, Melanie Magin3, Kathrin F. Müller4, Cordula Nitsch5, Claudia Riesmeyer6, Annika Sehl1, Arne F. Zillich7
Dieser Beitrag stellt das wissenschaftliche Netzwerk „Werte und Normen als Forschungsgegenstände und Leitbilder in der Kommunikationswissenschaft“ vor und beschreibt, welche Rolle „Kritik“ in der Netzwerk-Findungsphase, bei der theoretischen Herangehensweise und bei der Auswertung einer empirischen Studie gespielt hat. Wir arbeiteten dabei mit dem Konzept der „Sollensvorstellung“, das sich auf normative Aussagen bezieht, in denen eine Erwartung an eine Handlung in einem Anspruch formuliert wird. Solche Sollensvorstellungen identifizierten wir in 480 Fachzeitschriften-Aufsätzen. „Kritik“ kam dabei beispielsweise im Sinne von (Medien-)Kritikfähigkeit, medienethischer Sensibilisierung sowie von Kritik und Hinterfragen der angewandten Forschungsmethoden vor. Wir adressieren in diesem Beitrag zudem den Umstand, dass Wissenschaftler*innen in ihren Forschungsinteressen stets von Werten und Normen (zum Teil unbewusst) angeleitet sind und schlagen vor, dies explizit zu machen und transparenter mit normativen Konstrukten wie Sollensvorstellungen und Kritik umzugehen.
Oliver Stroh
Sven Jöckel
Die Theorie der Resonanz von Rosa beschreibt intensive, nicht-entfremdete menschliche Weltbeziehungen als Erfahrungen der Resonanz, der Affizierung und Anverwandlung. In der theoretischen Diskussion viel beachtet, blieben empirische Zugänge rar. Diese Studie untersucht, unter welchen Umständen Menschen in medienvermittelter interpersonaler Kommunikation Resonanzerfahrungen erleben, und welchen Einfluss spezifische Medieneigenschaften dabei nehmen. Dafür wird die Resonanztheorie mit Wirkungstheorien wie der Theorie der sozialen Präsenz sowie mit der psychologischen Flow-Theorie in Beziehung gesetzt. Mit einem Mixed-Method-Design aus Experience Sampling und Leitfadeninterviews wurden die alltäglichen Kommunikationserfahrungen von elf Erwachsenen zwischen 18 und 23 Jahren untersucht. Ziel war die Analyse erlebter Resonanzerfahrungen hinsichtlich möglicher beeinflussender Aspekte. Auch Zusammenhänge von Resonanz und Medienwahl wurden betrachtet. Die Untersuchung zeigte, dass die Teilnehmenden Resonanzerfahrungen unterschiedlicher Qualität erlebten. Dabei spielten unterschiedliche mediale Reichhaltigkeiten eine Rolle, starken Einfluss nahmen Aspekte wie Konzentration, Herausforderung und Wohlbefinden. Die Kommunikationsziele Resonanz, Verständnis, Kontrolle und Distanz wurden als Entscheidungsfaktoren für die Medienwahl identifiziert. Auch aufgrund kommunikationsfremder Ziele verzichteten die Teilnehmenden wiederholt auf potenziell intensivere Resonanzerfahrungen.
Christian Schwarzenegger, Erik Koenen
„Kommunikationsgeschichte Digitalisieren“ ist eine 2017 gegründete Initiative, die im Feld der deutschsprachigen kommunikations- und medienhistorischen Forschung aktiv ist. Neben der fachpolitischen Bewusstseinsbildung und Selbstreflexion innerhalb des kommunikations- und medienhistorischen Gebiets sowie der praktischen Kompetenzvermittlung von Digital Literacy für Kommunikations- und Medienhistoriker*innen ist die Vermittlung von Historical Literacy für die Kommunikationswissenschaft ein wesentliches programmatisches Anliegen der Initiative. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Initiative als ein interventionistisches kritisches Projekt, dessen Kritikverständnis und kritisches Potential im Beitrag vorgestellt werden.
Medien und Ungleichheiten: Perspektiven auf Geschlecht, Diversität und Identität
Kathrin Friederike Müller1, Corinna Peil2
Die Studie nimmt die Arbeitsbedingungen von Kommunikationswissenschaftler:innen in den Blick und untersucht, inwieweit Ungleichheiten hinsichtlich Geschlecht und Elternschaft während der COVID-19-Pandemie zugenommen haben. Dabei wird im Besonderen die Verbindung zwischen der beruflichen Tätigkeit von sich als weiblich identifizierenden Kommunikationswissenschaftlerinnen, der Verteilung häuslicher Betreuungsaufgaben und dem Belastungsempfinden in beruflichen und privaten Bezügen fokussiert. Im Zentrum steht die Frage, welche Belastungen Kommunikationswissenschaftler:innen während der ersten anderthalb Jahre der Pandemie wahrgenommen haben und wie diese sich aus beruflichen Zusammenhängen und den Lebensverhältnissen erklären lassen. Die Ergebnisse zeigen, dass Eltern, insbesondere von jüngeren Kindern, eine erhöhte berufliche Stressbelastung verspürten. Überraschenderweise sind die geschlechtsgebundenen Unterschiede nicht so ausgeprägt wie erwartet: Kommunikationswissenschaftlerinnen, die sich als Frauen identifizieren, fühlen sich nicht stärker belastet als ihre sich als Männer identifizierenden Kollegen.
Selma Güney
Die vorliegende Studie untersucht junge türkeistämmige hannafitisch-sunnitische Muslim*innen in Deutschland in Hinblick darauf, wem und warum sie religiöse Meinungsführerschaft zuschreiben. Die kommunikationswissenschaftliche Meinungsführerschaftsforschung und die Anführerschaftsforschung bilden die theoretische Grundlage der Arbeit. Herausforderungen wie gesamtgesellschaftlicher und innermuslimischer Sexismus prägen in dem Kontext der nicht-muslimischen Gesellschaft die Zuschreibung religiöser Meinungsführerschaft. Basierend auf dem unterschiedlichen Umgang der befragten Muslim*innen mit den spezifischen Herausforderungen wird eine Typologie der religiösen Orientierung im deutschen Marginalisierungskontext aufgestellt. Die identifizierten vier Typen zeichnen sich durch unterschiedlich starke Nähe- und Distanzverhältnisse zu medialen Meinungsführenden und traditionellen religiösen Orientierungspunkten aus. Dabei zeigt sich, dass teilweise eine völlige Umorientierung von traditionellen auf nicht-traditionelle Orientierungspunkte – insbesondere auf virtuelle Meinungsführende – stattfindet.
Sophie Radziwill
Der vorliegende Beitrag ist den Fan Studies zuzuordnen und beschäftigt sich mit der Darstellung von deutschsprachiger Fanfiction. Dabei wird sich spezifisch mit einem besonders populären Genre innerhalb der Fanfiction beschäftigt, mit sogenannten Slash-Geschichten. Slash ist ein Phänomen, bei dem sich von den Laienautor*innen zwei ursprünglich heterosexuelle Figuren aus einem fremden Original ausgeliehen werden. Wesentlich ist dabei, dass sich die Sexualität der Figuren verändert und neue Geschichten rund um ein homosexuelles Pärchen entstehen. Anhand des beliebten Fandoms Harry Potter wird sich mithilfe der standardisierten Inhaltsanalyse den vielfältigen Aspekten von Slash gewidmet. Ferner wird aufgezeigt, welchen Stellenwert Erotik bei diesen Geschichten einnimmt. Dies ist vor allem interessant, da vorangegangene Forschungen zeigen, dass Fanfiction und ihre Online-Plattformen entgegen den Mainstream-Medien fest in weiblicher und queerer Hand sind.
Insa Miller
Viele Asexuelle finden erst spät zu ihrer Identität. Austausch mit Gleichgesinnten hilft ein Vokabular für eigene Erfahrungen zu finden. Soziale Medien mit hoher Anonymität bieten Raum zur Entfaltung von Identitäten und Gemeinschaft (Carrasco, 2017). Abweichende Diskriminierungserfahrungen führen zu Hierarchien zwischen den sozialen Gruppen der GSRM Community. Um die Gruppenverhältnisse sichtbar zu machen, untersuchte diese Studie inhaltsanalytisch Beiträge zu Asexualität und Pride auf Twitter und Tumblr (n=1.000). Analysiert wurden die Inhalte und Nutzer*innendaten. Die Ergebnisse stützen die vermuteten Hierarchien. Heteroromantische Asexuelle, die gegen Normen von sowohl der GSRM Community aber auch der asexuellen Gruppe verstoßen, erfahren häufiger Ausgrenzung, nicht zuletzt durch andere Asexuelle. Weitere Forschung ist nötig, um die Ergebnisse für andere GSRM Gruppen zu prüfen. Mehr Verständnis für die intra- und intergruppalen Beziehungen der GSRM Community kann zu höherer Sichtbarkeit und Akzeptanz zwischen den Gruppen führen.
Shari Adlung1, Annabella Backes2
Ziel dieses Beitrags ist es, sich dem Alter als häufig vernachlässigter Ungleichheitskategorie sowohl theoretisch als auch empirisch zu nähern. Wir untersuchen, ob und wie hochaltrige Menschen im Corona-Risikodiskurs sichtbar werden und fragen nach den diskursiven Disziplinierungsaufforderungen, die am Alter formuliert werden. Zunächst beschreiben wir das Alter als besondere Ungleichheitskategorie, die einerseits durch ihre intersektionale Verflechtung mit Behinderung geprägt ist, andererseits durch ihre graduelle wie kategoriale Form. Daraus leiten wir zweitens ein methodisches Vorgehen ab, das auf Bild- und Textebene verschiedene Facetten der Repräsentation und (Un)Sichtbarkeit alter Menschen untersucht. Drittens, beschreiben und diskutieren wir die Teilhabe und Handlungsmacht alter Menschen im Diskurs und die Disziplinierungsanforderungen, die am Alter und an der Intersektion mit Behinderung plausibilisiert werden. Unsere Analyse zeigt, dass alte Menschen durch Mechanismen des Differenzierens, Hierarchisierens, Homogenisierens und Dehumanisierens ausgeschlossen und von der journalistischen Wir-Gruppe als ‚Andere‘ abgegrenzt werden. Weiterhin lesen wir im Material drei dominante Regierungsanweisungen: die Selbstdisziplinierung alter Menschen, die moralische Disziplinierung durch die Mehrheitsgesellschaft und eine autoritäre Regierung gegen die als verwirrt markierten alten Menschen.
Stine Eckert1, Karin Assmann2,
Wir nutzen theoretische Ansätze der Standpunktepistemologie und Intersektionalität, um zu analysieren wie die Repräsentation von in der DDR und/oder ostdeutsch-sozialisierten Journalist*innen in Redaktionen in Deutschland, vor allem auf Leitungsebene, wahrgenommen wird. Inwiefern spielen diese Sozialisationserfahrungen, mehr als 30 Jahre nach Beginn des Wiedervereinigungsprozesses eine Rolle? Dieser Beitrag enthält Ergebnisse eines Teilprojekts und basiert auf 33 Interviews mit Journalist*innen von acht regionalen Nachrichtenmedien in Ostdeutschland, zwei überregionalen Nachrichtenmedien und zwei Zeitungen in Berlin. Die explorative Textanalyse der Interviewabschriften ergab drei Themen: Kinderbetreuung, die Anwendung von geschlechtergerechter Sprache und ein ausgeprägtes Bewusstsein zu Besitzverhältnissen und Besetzung von Leitungspositionen. Mit empirischen Daten zu Bedeutungsbestimmung und Reflektion von Journalist*innen über ihre Identitäten und die Signifikanz dieser für ihre Arbeit, stellen wir mit dieser Studie Frauen, insbesondere mit DDR/ostdeutscher Sozialisierung und/oder Migrationsgeschichte als doppelt unterrepräsentierte Minderheiten in den Mittelpunkt in einem Berufsfeld, das vor allem in Leitungspositionen von westdeutschen Männern ohne Migrationshintergrund dominiert wird.
Christine Linke1, Ruth Kasdorf1,2
Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein allgegenwärtiges Thema, wobei die Repräsentation in den Medien bedeutsam für oder gegen die Verbreitung von Diskriminierung gegenüber Betroffenen ist. Der Beitrag stellt eine Studie vor, bei der eine Medieninhaltsanalyse der acht Hauptsender des deutschen Fernsehens im Rahmen zwei künstlicher Wochen des Jahres 2020 während der Pre-Primetime und Primetime (18-22 Uhr) durchgeführt wurde. Von den 545 Sendungen ließen sich in gut einem Drittel geschlechtsspezifische Gewalthandlungen identifizieren. Diese werden zum Großteil explizit dargestellt oder ausführlich beschrieben. Zudem konnten diverse Leerstellen in Hinblick auf die Repräsentation Betroffener, Beratungsstellen und Hilfsangebote sowie Professioneller der Anti-Gewaltarbeit festgestellt werden. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Notwendigkeit, das Thema ausführlich zu diskutieren und für eine differenzierte und aufklärende Repräsentation in den Medien zu sensibilisieren.
Juliane Wegner, Julia Stüwe
Streaming-Anbieter:innen investieren global in immer mehr eigenproduzierte Inhalte und sind ernsthafte Konkurrent:innen zu etablierten Broadcast-Unternehmen. Ihre originären Serien zeichnen sich durch komplexe Erzählwelten und vielschichtige Figurenensembles aus. Zudem stellen Netflix & Co. in der Eigenvermarktung ihrer Produkte die Diversität und Vielfalt ihrer Inhalte heraus, die sich erheblich vom eher tradierten und heterosexuellen, männlich orientierten, linearen Fernsehen unterscheiden sollen. Die vorgelegte Studie untersucht im Sinne der Gender Media Studies mit intersektionaler Perspektive die transnationalen, originären Serienproduktionen der am deutschen Markt tätigen (Streaming-)Anbieter:innen. Dabei zeigt sich, dass Subscription-Video-on-Demand (SVoD) Originals zwar diverser sind, aber längst nicht in dem Ausmaß, welches die Selbstvermarktung verspricht. Hervorzuheben ist, dass die transnationale Rezeptionsperspektive eine Vielfalt in der Rezeption von Ethnien und sexuellen Orientierungen ermöglicht. Allerdings werden auch Geschlechterstereotype reproduziert und es kommt zu einer intersektionalen Mehrfachdiskriminierung in Bezug auf Alter und Geschlecht.
Miriam Siemon, Wolfgang Reißmann, Margreth Lünenborg
Die Relevanz von #MeToo zur Sensibilisierung für alltägliche sexualisierte Gewalt gegen Frauen, als Forum der Solidarität, aber auch als Anschauungsgegenstand für Polarisierung und antifeministisches Backlash sind unbestritten. Zugleich mangelt es an empirischen Forschungsarbeiten, die Verlauf und Struktur der Debatte in sozialen Medien in Langzeitperspektive analysieren. Vor dem Hintergrund des Konzepts der performativen Öffentlichkeiten präsentiert der Beitrag erste Ergebnisse einer dynamischen Netzwerkanalyse des deutschsprachigen Twitter-Diskurses von Oktober 2017 bis Dezember 2021. Das Instrument macht es möglich, verschiedene Phasen der Beteiligungsintensität, Community-Strukturen sowie wechselnde Kräfteverhältnisse im Netzwerk darzustellen. Der Fokus unserer Analyse liegt zum einen auf der polarisierten Struktur zwischen feministischen sowie rechtspopulistischen und -extremen Communities. Zum anderen betrachten wir die Rolle institutionalisierter Medien, die sich in zwei Communities strukturieren. Ungeachtet enormer Schwankungen erweist sich #MeToo als kontinuierlich genutztes Hashtag, das dem „multi-spike pattern“ folgt. Bei der Verteilung in Communities zeigt sich eine relative Strukturkonstanz. Doch Beteiligung und Interaktion variieren nicht nur phasenspezifisch enorm, sondern auch innerhalb und zwischen den Communities. Wir diskutieren mit der vorgelegten Datenanalyse die Potenziale von computational methods für die feministische Kommunikationsforschung.
Medienökonomie 2023 – Kreativindustrie und Creator Economy
Castulus Kolo, Bozena Mierzejewska, Florian Haumer, Anran Luo, Christopher Schmidt & Axel Roepnack
Neue Wege der Erstellung und Verbreitung von Inhalten sowie neue Mediennutzungsgewohnheiten, die mit der noch immer andauernden digitalen Transformation einhergehen, sind ständige Triebfedern für Veränderungen in Medienunternehmen und Studiengängen, die sich mit den Erfordernissen des modernen Medienmanagements befassen. Dieser Beitrag soll zu einem besseren Verständnis der Art und Weise führen, wie Medienmanagement-Curricula in verschiedenen Ländern mit den letztgenannten Herausforderungen umgehen. Zu diesem Zweck wurde ein Forschungsdesign entwickelt, das die Identifizierung von Hochschulen bzw. Universitäten mit vergleichbarem Ranking aus fünf Ländern und die Abbildung ihrer Gesamtcurricula auf Kursebene durch quantitative Inhaltsanalyse ermöglicht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Ausbildung im Bereich Medienmanagement in erster Linie eine Aktivität von geistes- oder sozialwissenschaftlichen Fakultäten ist, die recht weit verbreitet ist und meist auf Master-Ebene angeboten wird. Die Curricula unterscheiden sich erheblich, bilden aber Cluster mit einer ähnlichen Zusammensetzung von allgemeinen Perspektiven oder Kompetenzen. Die Cluster sind länderübergreifend und gehen oft nicht auf die dringendsten Bedürfnisse der Industrie ein.
Christian-Mathias Wellbrock
Generative künstliche Intelligenz (KI) hat in verschiedenen Wirtschaftsbereichen Tätigkeiten und Aufgaben automatisiert und die Produktivität erhöht. Ihre Auswirkungen sind jedoch von Sektor zu Sektor unterschiedlich. Im Bereich der Massenkommunikation hat generative KI vor allem die Produktivität in der Unterhaltung, der Öffentlichkeitsarbeit (PR), der Werbung und in einfacheren Formen des Journalismus erhöht. Für den investigativen Journalismus, geprägt durch hochspezialisierte und nicht-automatisierbare Tätigkeiten von hochqualifizierten Journalist:innen, ist sie jedoch weniger produktivitätssteigernd. Diese Situation weist Parallelen zu Baumols Konzept der Kostenkrankheit auf, das typischerweise auf arbeitsintensive Dienstleistungssektoren wie Bildung, Gesundheitswesen und die darstellenden Künste Anwendung findet. Im Gegensatz etwa zur verarbeitenden Industrie sind diese Sektoren in hohem Maße auf menschliche Arbeitskraft angewiesen und können so durch technologische Fortschritte kaum Produktivitätsgewinne erzielen. Dies führt zu Lohnsenkungen oder einer höheren Subventionierung der betroffenen Sektoren, um mit produktiveren Branchen konkurrieren zu können. Im Bereich der Massenkommunikation könnte dieses Phänomen besonders für den (investigativen) Journalismus von Bedeutung sein, der in direktem Wettbewerb um Aufmerksamkeit mit anderen Kommunikationsformen steht und im Falle von generativer KI weniger von technologieinduzierten Produktivitätssteigerungen profitiert.
Uwe Eisenbeis1, Melanie Mezger2, Lars Rinsdorf3
Die Einleitung gibt einen Überblick über die Beiträge der Proceedings zur Tagung der Fachgruppe Medienökonomie der DGPuK im Oktober 2023 in Stuttgart.
Megan Hanisch & Marc-Christian Ollrog
Die tiefgreifende Transformation des Journalismus in der sogenannten Creator Economy wird maßgeblich durch die Digitalisierung und die Entstehung neuer Akteursgruppen wie Content Creators und Influencer*innen beeinflusst. Damit einhergehend wird das herkömmliche Finanzierungsmodell des Journalismus, das auf Werbeeinnahmen basiert, abgelöst durch neue Geschäftsmodelle und Erlösstrategien.
Vor diesem Hintergrund wurde ein diskursiver Tagungsbeitrag in der Form einer Ideenexploration umgesetzt, der von der interdisziplinären Expertise der Teilnehmenden der Fachgruppentagung Medienökonomie profitiert. Der Workshop verbindet die Methoden Six Thinking Hats (Bono, 2016) und das World Café, um komplexe Thesen multiperspektivisch zu betrachten. Im Zentrum des Beitrags stehen vier Thesen, die entscheidende Veränderungen im Journalismus in den Fokus nehmen – von der Personalisierung des Journalismus über die Auswirkungen der Plattformlogik auf Wertschöpfungsmuster bis hin zu den Herausforderungen und Chancen, die sich durch niedrige Markteintrittsbarrieren und Nutzerdaten-getriebene Inhalteproduktion ergeben.
Die Szenarios des Workshops zeigen, dass Journalismus in der Creator Economy persönlicher werden könnte, wobei sowohl positive Aspekte wie Rollentransparenz und Publikumsbindung als auch negative Aspekte wie Intransparenz und Manipulationsrisiken diskutiert werden. Die Plattformlogik wird als signifikanter Einflussfaktor auf die Wertschöpfung im Journalismus betrachtet.
Janis Brinkmann
Das Verschmelzen kommunikativer Praktiken aus einem digitalen Journalismus und einer social-media-getriebenen Kreativindustrie lässt sich pointiert am Beispiel von Presenter-Reportagen des öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerks funk beobachten. Aus einer figurations- und praxistheoretischen Perspektive werden Teilerkenntnisse und -ergebnisse eines umfangreichen Forschungsprojektes zum subjektiven Journalismus, das auf Inhaltsanalysen und Akteur:innen-Befragung basiert, auf Formen eines Selfie-Journalismus fokussiert, in dem sich Entgrenzungsprozesse zwischen den Praktiken von Journalist:innen und Influencer:innen bzw. Social Media Content-Cretator:innen manifestieren. Auf Basis von Inhaltsanalysen und Journalist:innen-Befragungen kann gezeigt werden, wie persönliche Erwartungen, Erfahrungen und Gefühle der Presenter:innen als Modalitäten von Signifikationsregeln einen solchen Selfiejournalismus beeinflussen. Auch eine vergleichsweise schwache Ausstattung der Formate mit ökonomischen Ressourcen bei gleichzeitig hohem Produktions- und Publikationsdruck prägen die Praxiskonstellation des "Ich"-Journalismus, in der zudem interaktive und partizipative Regeln und Ressourcen für die Ansprache junger Zielgruppen eine besondere Bedeutung entfalten.
Barbara Pauli 1, Anja Noster 1 & Christopher Buschow 2, 3
Der Ruf nach staatlicher Förderung für privatwirtschaftlich organisierten Journalismus in Deutschland wird zunehmend lauter, um seinen Strukturwandel zu unterstützen und Lösungen für seine gegenwärtige Krisenphänomene zu eröffnen. Dabei bleibt die konkrete Ausgestaltung einer möglichen Journalismusförderung jedoch weiterhin unklar. Das unterscheidet den Journalismus vom Film, für den seit vielen Jahren auch in Deutschland eine etablierte Subventionslandschaft existiert. Vorangegangene Literatur hat vorgeschlagen, die deutsche Filmförderung als Vorbild für eine mögliche Journalismusförderung heranzuziehen. Der Beitrag prüft, ob und inwieweit eine solche Übertragung vielversprechend ist. Dazu wurden sechs bewusst ausgewählte Filmförderprogramme mittels einer primär induktiven, qualitativen Inhaltsanalyse von 36 Dokumenten (Förderrichtlinien und Sekundärliteratur) untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Übertragungspotenziale und gewinnbringende Analogien vor allem im Bereich der Förderschwerpunkte, der Auswahlmechanismen, der Herkunft der Fördermittel sowie auf der Organisationsebene bestehen. Neben den Potenzialen betont die Studie auch Grenzen der Übertragbarkeit.
Uwe Eisenbeis, Melanie Mezger und Lars Rinsdorf (Hrsg.)
Dieses Dokument enthält sämtliche Beiträge der Proceedings zur Jahrestagung der Fachgruppe Medienökonomie der DGPuK 2023 in Stuttgart
Lydia Cheng1, Christopher Buschow2, 3 &Maike Suhr1
Der Beitrag untersucht die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medienorganisation funk in der Zusammenarbeit mit journalistischen Content Creator, d.h. Medienschaffende außerhalb der eigenen Organisation, die insbesondere Social-Media-Plattformen für die Produktion und Distribution ihrer Inhalte nutzen. Auf Grundlage einer qualitativen Fallstudienforschung zu funk, für die öffentliche und interne Dokumente ausgewertet, Interviews sowie Feldforschung vor Ort und im digitalen Raum durchgeführt wurden, wird gezeigt, wie funk diese Content Creator durch Aufbau, Weiterentwicklung und laufende Unterstützung begleitet. Die empirischen Befunde zeigen, dass funk die Rolle eines Katalysators übernehmen kann, wenn Content Creator von außerhalb des journalistischen Feldes bzw. von seinen Rändern durch die Unterstützung funks in das eigentliche Feld vorrücken können. Ausgehend von dieser Einzelfallstudie erweitert der Beitrag das Verständnis von neuartigen Medienorganisationen und trägt zur Theoriebildung im Bereich der Organisation des digitalen Journalismus bei.
Magdalena Ciepluch, Uwe Eisenbeis & Melanie Mezger
Die Creator Economy, getrieben durch sogenannte Content Creator, erlebt seit Jahren einen starken Bedeutungszuwachs. Auf der einen Seite fungieren Content Creator zunehmend als Wettbewerber etablierter Medienunternehmen auf verschiedenen Absatzmärken. Auf der anderen Seite ist die Art und Weise, wie Content Creator ihre Inhalte produzieren, kommunizieren und vermarkten nur durch digitale, soziale Plattformen möglich geworden. Diese sind inzwischen auf die populären und reichweitenstarken Inhalte und Personenmarken der Content Creator angewiesen und verdienen an und in der Creator Economy mit. In diesem Beitrag wird daher das strategische Verhalten von Unternehmen der Digital- und Medienwirtschaft durch die Analyse des Investitionsverhaltens (Beteiligungsinvestitionen und Akquisitionen) dieser in die Creator Economy untersucht. Das Verhalten soll Aufschluss über die Entscheidung geben, in welchem Umfang und in welchen Bereichen Unternehmen der Digital- und Medienwirtschaft in der Creator Economy mitwirken beziehungsweise in welche sie „diversifizieren“ möchten. Es wird deutlich, dass Digital- und Medienunternehmen zu Beginn eher zögerlich in der Creator Economy investiert und akquiriert haben. Der Beitrag untersucht zudem, in welche Sektoren (Medienteilbranchen) sowie in welche Tätigkeitsfelder (im Sinne von Funktionen der Wertschöpfungskette der Creator Economy) die Digital- und Medienunternehmen mit ihren Beteiligungsinvestitionen und Akquisitionen diversifizieren.
Uwe Eisenbeis, Melanie Mezger & Magdalena Ciepluch
Während die Creator Economy einerseits zunehmend an Bedeutung gewinnt, andererseits sie und ihre Hauptakteure noch wenig erforscht sind, erscheint eine systematisierende Beschreibung der Geschäftsmodelle in der Creator Economy sowie ein Vergleich dieser mit denen der klassischen Medienunternehmen interessant. Auf Basis des Geschäftsmodell-Ansatzes von Gassmann, Frankenberger und Csik (2017) werden in diesem Beitrag die Komponenten des Geschäftsmodells der Content Creator untersucht. Dabei wird festgestellt, dass sich ihr Geschäftsmodell in der Grundstruktur nicht von dem der klassischen Medienunternehmen unterscheidet: Als Kunden sprechen sie zum einen mit Informations- und Unterhaltungsinhalten Rezipientinnen und Rezipienten an, zum anderen mit der Vermarktung ihrer Reichweite und Zielgruppen die Werbekunden. Als Leistung und Inhalt werden alle Darstellungsformen angeboten, die Themenkategorien sind maximal breit und decken sowohl alle denkbaren Mainstreamthemen als auch eine große Vielfalt an Nischenthemen ab. Die Wertschöpfungskette ist inzwischen hoch professionalisiert und umfasst viele spezialisierte Akteure. Und schließlich entstammen die vorkommenden Erlösmodelle den in der Medienwirtschaft bekannten Erlöstypen. Aus Perspektive des Geschäftsmodells wird deutlich: Content Creator und die an ihrer Wertschöpfung Beteiligten sind Voci et al. (2019) folgend durchaus „Medienunternehmen“ im engeren Sinne, mindestens aber Medienunternehmen im weiteren Sinne.
Hardy Gundlach
Der Beitrag untersucht mit der Conjoint-Methodik, wie sich der Wettbewerb im Video-on-Demand-Markt auf die Strategien der Medienunternehmen der Fernseh- und VoD-Branche auswirkt. Die Studie zeigt, dass exklusiver Content für die Nachfrage nach VoD neben Preis und Vielfalt der entscheidende Treiber im VoD-Markt ist. Die Studie hebt für eine erfolgreiche inhaltliche Planung die unternehmerische Fähigkeit hervor, eine spezifische Finetunig-Strategie umzusetzen, um durch ein inhaltlich breites und vielfältiges Angebot sowie mit der Vielfalt eines abwechslungsreichen Entertainmentangebots Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Darüber hinaus ergeben sich weitere strategische Handlungsmuster und Empfehlungen für die unterschiedlichen VoD-Anbieter.
Per Ole Uphaus & Harald Rau
Traditionelle, überwiegend printbasierte Medienunternehmen mit lokalem oder regionalem Fokus kämpfen seit Jahren mit den Folgen zunehmender Digitalisierung – weniger Leser, geringere Auflage, schwindende Werbeeinnahmen sowie voranschreitende Konzentrationsprozesse. Wie aktuelle Forschung zeigt, können partizipative Formen der Erstellung von Inhalten die dringend benötigte Basis für erforderliche Geschäftsmodellinnovationen im Journalismus darstellen. Mit ihrem Potenzial, den beschränkten Umfang des von herkömmlichen Medien angebotenen journalistischen Angebotes auszuweiten, sind sie ein Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit des lokalen Medienangebotes. Was also ist nötig, um partizipativ gestaltete Kommunikationsangebote erfolgreich und nachhaltig in der Medienwirtschaft zu implementieren? Dieser Beitrag identifiziert Faktoren, die die Bereitschaft zur Partizipation in (lokalen) Nachrichtenanwendungen beeinflussen. Hierfür wurden Personen interviewt, die für ehrenamtliches Engagement im lokalen Umfeld ausgezeichnet wurden, um zu erfahren, was Personen mit hoher intrinsischer Motivation zur Partizipation bewegt. Die Ergebnisse zeigen: Netzwerkcharakter, nichtmonetäre Belohnungssysteme sowie die Möglichkeit, weitere Nutzer anzuwerben, können Motivationsfaktoren zur aktiven Partizipation in (lokalen) Nachrichtenanwendungen sein. Zudem unterstreicht der Beitrag das Zusammenspiel von Ehrenamt und partizipativem Journalismus, das besonders auf digitaler Ebene diverse Potenziale bietet.
Jahrestagung der Fachgruppe Rezeptionsforschung 2022
Olaf Jandura1, Carina Weinmann2
In den letzten Jahren war häufig von einem Rechtsruck in der Gesellschaft die Rede (O. Decker et al., 2016). Bevölkerungsrepräsentative Umfragedaten belegen diese These jedoch nicht. Weder die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) noch der European Social Survey zeigen für die letzten Jahrzehnte signifikante Veränderungen in der Selbstpositionierung der Befragten auf der Links-Rechts-Skala. Dies wirft die Frage auf, ob es sich bei dem behaupteten gesellschaftlichen Rechtsruck um ein soziologisches Wahrnehmungsphänomen handelt, das durch die intensive öffentliche Debatte verstärkt wird, oder ob Zweifel an der Validität der politischen Selbstpositionierung auf der Links-Rechts-Skala angebracht sind. Der vorliegende Artikel befasst sich mit der letzteren Frage. Unsere Analysen ergaben, dass bei 31 % der Befragten in unserer Stichprobe eine Divergenz zwischen der subjektiven Positionierung auf der Links-Rechts-Skala und einer wertbezogenen Positionierung besteht. Wir erörtern, welche Variablen diese Divergenz erklären können und welche Konsequenzen daraus für die kommunikationswissenschaftliche Forschung gezogen werden können.
Tobias Dienlin,1 Marc Ziegele,2 Anna Sophie Kümpel3
In diesem Beitrag fassen wir die Ergebnisse der Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Rezeptions- und Wirkungsforschung 2022 in Düsseldorf zusammen und stellen die vier Beiträge des Tagungsbandes vor. Die Tagung widmete sich dem Thema Inzivilität in digitalen Medien, ihrer Rezeption, Wirkung und möglichen Interventionen. Neben diesem Schwerpunkt wurden weitere aktuelle Forschungsthemen der Rezeptions- und Wirkungsforschung präsentiert, darunter die Auswirkungen sozialer Vergleiche auf die mentale Gesundheit von Rezipierenden, die Rolle von Sprachstilen bei Sprachassistenten sowie wertbasierte Kommunikationsstrategien zur Förderung umweltbewussten Verhaltens. Eine Podiumsdiskussion zu Open Science unterstrich die Bedeutung von Transparenz und Replizierbarkeit in der Forschung.
Tanja Habermeyer, Janine N. Blessing, Helena Bilandzic, Anna-Maria Baur
Die vorliegende Studie untersucht die Wirkung von Value-Based-Framing (egoistisch, altruistisch und biosphärisch) im Kontext einer Poster-Kampagne zum Thema Plastikverschmutzung. Die Norm-Activation Theory (Schwartz, 1977) dient als theoretischer Hintergrund zur Beschreibung des umweltrelevanten Verhaltensbildungsprozesses. Nach Schwartz' Theorie (1992; 1994) werden die verschiedenen Arten des Value-Based-Framings – egoistisches, altruistisches und biosphärisches Framing – miteinander verglichen und mit einer Version ohne Value-Based-Framing in der Wirkung auf den umweltbezogenen Verhaltensbildungsprozess analysiert. Zusätzlich wird die Relevanz einer Übereinstimmung des Werteframings und der bestehenden Wertorientierung der Rezipierenden untersucht. Die Studie zeigt, dass sich altruistisches Framing, verglichen mit einer Kommunikation ohne Werteframing, signifikant auf den umweltrelevanten Verhaltensbildungsprozess auswirkt: Die Wirkung des altruistischen Framings verglichen zu keinem Einsatz von Value-Based-Framing auf den Verhaltensbildungsprozess zeigt sich für alle Personen, unabhängig von bestehender Wertorientierung. Biosphärisches und altruistisches Framing zeigen sich hier als nicht relevant in der Wirkung auf den Verhaltensbildungsprozess. Die Ergebnisse sind konsistent mit den theoretischen Annahmen von Schwartz (1992; 1994) und werden in diesem Zusammenhang diskutiert. Nicht signifikante Ergebnisse werden auch in Bezug auf eine geringe Effektstärke diskutiert.
Anisha Arenz1, Adrian Meier2 and Leonard Reinecke1
Soziale Medien bieten ihren Nutzer*innen eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Online-Selbstdarstellung und stellen somit ein optimales Umfeld für soziale Vergleiche dar. Mit zunehmender Beliebtheit sozialer Medien wächst in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft die Sorge über negative Auswirkungen sozialer Online-Vergleiche auf die psychische Gesundheit der Nutzer*innen. Die wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema nimmt rapide zu, wodurch das Feld heterogener und schwieriger zu überblicken wird. Ziel dieses Scoping Reviews ist es daher, eine systematische Übersicht über das fragmentierte Forschungsfeld zu sozialen Vergleichen in sozialen Medien und psychischer Gesundheit zu bieten. Anhand vordefinierter Einschlusskriterien wurden 131 quantitative Studien systematisch identifiziert, um das Forschungsfeld zu kartieren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Zahl der Studien seit 2011 zugenommen hat und dass Erstautoren aus den Vereinigten Staaten und aus dem Fachbereich Psychologie die meisten Beiträge lieferten. In Bezug auf die untersuchten Vergleichsrichtungen, Vergleichsdimensionen und Indikatoren für psychische Gesundheit zeigen die Analysen, dass sich die Studien vor allem auf Aufwärtsvergleiche hinsichtlich verschiedener Vergleichsdimensionen sowie hedonisches Wohlbefinden konzentrierten, während Abwärtsvergleiche und andere Facetten der psychischen Gesundheit im Feld derzeit unterrepräsentiert sind.
Katharina Frehmann
Sprachassistenten als Informationsintermediäre werden beliebter. Typisch für sie ist ihre anthropomorphe Erscheinung, wie ihre menschlichen und seit neustem auch umgangssprachlichen Stimmen. Laut der CASA-Forschung kann Anthropomorphismus die Wahrnehmung von Menschlichkeit steigern, was auch Vertrauen stärkt. Umgangssprache könnte also über wahrgenommene Menschlichkeit das Vertrauen von Nutzern erhöhen, welche jedoch oft intransparente, unvollständige Antworten erhalten. Andererseits könnte der Sprachstil ähnlich wie Dialekt und Akzent die Wahrnehmung von Kompetenz und damit das Vertrauen verringern. Die Studie untersucht, wie der Sprachstil eines fiktiven Sprachassistenten Vertrauen und Nutzungsabsichten über die wahrgenommene Menschlichkeit und Kompetenz beeinflusst. Eine experimentelle Online-Vignetten-Studie mit einem 2 (formelle vs. umgangssprachliche Sprache) x 2 (informelle Alltags- vs. formelle politische Themen) Between-Subjects-Design (N = 244) ermittelte, dass der Sprachstil keine Wirkung auf die wahrgenommene Menschlichkeit hat. Umgangssprache reduziert jedoch die Kompetenz, was einen negativen Effekt auf Vertrauen vermittelt. Ein umgangssprachlicher Sprachassistent scheint also keine positiven Einstellungen und Verhaltensweisen von Nutzenden zu fördern. Unabhängig von der experimentellen Manipulation wurde jedoch ein direkter Effekt der Menschlichkeit auf die Nutzungsabsicht beobachtet, was dennoch die Relevanz des anthropomorphen Designs für die Nutzung zeigt.