Eine Atmosphäre der Intoleranz an den Universitäten?

 

 

 

Thomas Petersen, Institut für Demoskopie Allensbach

Das geistige Klima an den Hochschulen ist bereits seit einigen Jahren Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussionen. Oft kann man die Klage hören, eine überbordende Political Correctness sorge für eine intolerante Atmosphäre. Die ­allgegenwärtige Gefahr, aus nichtigen Anlässen etwa des Rassismus oder der Frauenfeindlichkeit bezichtigt zu werden, behindere den freien ­geistigen Austausch, den eine Universität eigentlich kennzeichnen sollte, verhindere, dass vom Mainstream abweichende Meinungen überhaupt noch geäußert werden könnten, und gefährde damit letztlich die Wissenschaftsfreiheit.

Spektakuläre Einzelfälle, wie etwa das Aus­laden oder Auspfeifen von Gastrednern, fanden große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und scheinen die These von einem immer intoleranteren Klima an den Universitäten zu bestätigen. Doch lassen sich diese Einzelfälle wirklich verallgemeinern? Das Institut für Demoskopie Allensbach hat in den letzten Jahren im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes und der Konrad-Adenauer-Stiftung  zwei Umfragen unter Hochschullehrern zu diesem Thema durchgeführt. Ihre Ergebnisse bestätigen die Vermutung nur zum Teil.

Die erste Umfrage fand zur Jahreswende 2019/20 statt. Damals zeigte sich, dass der Anteil der Hochschullehrer, die sich durch die Political Correctness in Forschung und Lehre behindert fühlten, gering war. Knapp zwei Jahre später, im Herbst 2021, folgte die zweite Umfrage. Auch nun sagten die meisten Hochschullehrer, sie fühlten sich in ihrer Forschung und Lehre frei. Allerdings hatte das Gefühl, unter dem Druck des Meinungsklimas zu stehen, durchaus zugenommen. So hatten beispielsweise 2019/2020 13 Prozent der Befragten der Aussage „Die Political Correctness verhindert es, dass man bestimmten Forschungsfragen nachgehen kann“, zugestimmt. 2021 waren es 18 Prozent. Dieser Unterschied mag auf den ersten Blick klein erscheinen, doch die Änderung fand in weniger als zwei Jahren statt. Vor allem aber sind bei den Antworten der Geistes- und Sozialwissenschaftler noch deutlich stärkere Verschiebungen zu verzeichnen: Bei Sozialwissenschaftlern war der Anteil derer, die die Aussage auswählten, von 14 auf 26 Prozent gestiegen, bei Geisteswissenschaftlern hatte er sich sogar von neun auf 21 Prozent mehr als verdoppelt. Auch der Anteil derjenigen, die bei einer anderen Frage angaben, dass sie sich in der Lehre „durch formelle oder informelle Vorgaben zur Political Correctness“ stark oder zumindest etwas eingeschränkt fühlten, war in knapp zwei Jahren von 31 Prozent auf 40 Prozent gestiegen.

Die vielen Ergebnisse der beiden Umfragen können an dieser Stelle nicht ausgebreitet ­werden. Sie zeigen zusammengefasst, dass sich langsam aber deutlich die Atmosphäre an den Universitäten und auch das Selbstverständnis der Hochschullehrer zu wandeln scheinen. So sagten 2021 jüngere Hochschullehrer deutlich häufiger als ältere, es sei eine Aufgabe der Wissenschaft, den gesellschaftlichen Fortschritt voranzutreiben oder öffentliche Debatten anzustoßen.

Alles in allem zeigen die Umfragen, dass die Universitäten noch weit von jener in der Öffentlichkeit oft vermuteten Atmosphäre der allgemeinen Intoleranz entfernt sind. Im Alltag der meisten Hochschullehrer spielen welt­anschauliche Auseinandersetzungen keine oder nur eine geringe Rolle. Doch das bedeutet nicht, dass die Warnungen vor einer Radikalisierung des intellektuellen Milieus gänzlich unberechtigt wären, denn eine gewisse Tendenz zur allmählichen Politisierung und Verschärfung des Klimas an den Hochschulen ist durchaus erkennbar.