Academic Freedom Index: Systematische Beobachtung hilft beim Entwickeln von Schutzmaßnahmen
Katrin Kinzelbach und Lars Pelke,
beide Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Wissenschaftsfreiheit ist und war stets bedroht von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die aus politischen oder ideologischen Gründen versuchen, in die freie Erkenntnissuche von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen einzugreifen. Beides wird vom Academic Freedom Index (AFI) erfasst. Von der Wissenschaft nach akademischen Kriterien selbst gesetzte Qualitätsstandards verzeichnet der AFI hingegen nicht als Einschränkung der Wissenschaft. Wissenschaftsfreiheit ist nicht absolut. Wer Wissenschaftsfreiheit grenzenlos definiert, verwechselt sie mit der Meinungsfreiheit (und auch diese kann rechtskonform eingeschränkt werden, nämlich wenn durch ihre Ausübung andere Grundrechte bedroht sind).
Erst wenn wir konzeptionell fundiert und systematisch beobachten, wie es um die Wissenschaftsfreiheit bestellt ist, können sinnvolle Maßnahmen für ihren Schutz entwickelt werden. Der AFI erfasst international vergleichend, wie frei Forschende lehren und forschen, und ob Universitäten autonom entscheiden können. Er ist damit der erste systematische Ansatz zur Erfassung von Wissenschaftsfreiheit weltweit. Die von uns publizierten jährlichen Updates zu den neuesten Erkenntnissen aus dem AFI zeigen uns, dass ungefähr seit 2008 die durchschnittliche Wissenschaftsfreiheit global auf einem unzureichenden Level stagniert. Betrachtet man die Entwicklung der letzten zehn Jahre, fällt das Fazit dramatisch aus: In 22 Ländern, in denen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, ist die Wissenschaftsfreiheit in den letzten zehn Jahren deutlich zurückgegangen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Forschenden und Studierenden in diesen Ländern, darunter die USA, Indien und Mexiko, sondern auch auf die Bevölkerung: Dort wo Wissenschaft politischen und gesellschaftlichen Einschränkungen unterworfen ist, gelingt die freie Erkenntnissuche höchstens noch unzureichend. Vor diesem Hintergrund sind die heute gängigen Hochschulrankings kritisch einzuordnen. Dort schneiden regelmäßig auch diejenigen Universitäten auf Bestplätzen ab, die in Kontexten starker Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit zu finden sind, bspw. in China. Wissenschaftsfreiheit sollte als zentraler Eckpfeiler freier Erkenntnissuche auch in die Logik solcher Reputationsrankings Einzug finden.
Stand der Wissenschaftsfreiheit 2022 (0 -1, niedrig bis hoch)
Der Academic Freedom Index (AFI) erfasst das de facto Niveau der Wissenschaftsfreiheit in der ganzen Welt mit Hilfe von fünf Indikatoren: Freiheit der Forschung und Lehre, Freiheit des akademischen Austauschs und der Wissenschaftskommunikation, institutionelle Autonomie, Campus-Integrität, und akademische und kulturelle Ausdrucksfreiheit. Der AFI deckt 179 Länder und Territorien ab und bietet den bislang umfassendsten Datensatz zum Thema Wissenschaftsfreiheit. Er stützt sich auf Einschätzungen von annährend 2200 Länderexperten und -expertinnen weltweit, standardisierte Fragebögen und ein bewährtes statistisches Modell, welches die Experteneinschätzungen aggregiert. Er wird an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem V-Dem Institute der Universität Göteborg koordiniert und von der Volkswagen-Stiftung gefördert. Die aktuellen Ergebnisse und weitere Informationen können auf der interaktiven Webseite https://academic-freedom-index.net eingesehen werden.