Neue Unübersichtlichkeiten

  


Olaf Jandura (Hochschule Düsseldorf) und Carina Weinmann (Heinrich Heine-Universität Düsseldorf)

Die vielfach attestierte neue Unübersichtlichkeit auf dem Wählermarkt wird seit den 1990er Jahren intensiv in der Politikwissenschaft und der Politischen Soziologie diskutiert. Zu der lange Zeit dominierenden sozioökonomischen Konfliktlinie, die das politische Spektrum von „links“ nach „rechts“ sortiert, traten mit der politisch-kulturellen und der globalisierungsbezogenen Konfliktlinie zwei weitere Spannungslinien hinzu, die den Kampf um Deutungen politischer Themen bei zivilgesellschaftlichen Akteuren, Parteien, in der Medienberichterstattung und in der Bürgerschaft neu strukturieren oder restrukturieren. Diese Neujustierung des politischen Wettbewerbs wurde bei der Debatte um die Gründung des BSW zuletzt für die breite Öffentlichkeit deutlich und von Aiko Wagner (2023) in seinem Aufsatztitel „Lechts oder rinks“ pointiert zusammengefasst: Ziele der neuen Partei und deren Wählerschaft seien ebenso mit linken Werten wie rechten Werten verbunden. Was politisch „links“ und „rechts“ ist, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mehr eindeutig fassen. 

Dieser Unübersichtlichkeit steht eine seit Jahren in der Forschung bewährte und häufig eingesetzte einfache Abfrage auf der Links-Rechts-Skala zur Operationalisierung der politischen Einstellung von Bürger:innen gegenüber. Uns interessierte, ob sich die subjektive Positionierung mit einer wertebezogenen Positionierung der Befragten noch deckt. Bei 31% der Befragten unserer Stichprobe fanden wir hier Divergenzen, die uns zum Schluss führen, dass man beim Einsatz der Skala von einer subjektiven Positionierung sprechen bzw. dass die Abfrage politischer Wertvorstellungen stärker Berücksichtigung finden sollte (Jandura & Weinmann, 2023). 

„Was machen wir, damit diese spannenden Befunde die „richtigen Leute“ erfahren?“ Letztendlich ziehen wir daraus den Schluss, dass bewährte Messinstrumente besonders in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels hinterfragt werden sollten. Der Reviewprozess vor Tagungen und Publikationen sowie der Versuch der Replikation der Befunde trägt dazu bei, nach innen in die Kommunikationswissenschaft zu kommunizieren. 

Das gelingt nicht nur über Veröffentlichungen, sondern auch über die Einbeziehung sozialer Medien, wie dieser Beitrag zeigt, denn der Anstoß für diesen Debattenbeitrag kam über LinkedIn-Posts der Autorin. Die Eigenvermarktung der Befunde führt vielleicht zu mehr Zitationen, wie Twitter-Studien zeigen, sie führt aber auch – je nach Netzwerk – zu interessanten Beifängen außerhalb des eigenen Lesespektrums, die das Interesse über die eigene Spezialisierung hinaus wecken bzw. Bezüge zu dieser herstellen können und zu Kontakten aus der Wissenschaft heraus. Ob dieser Befunde spannend sind, ob das Glas halb voll oder halb leer ist, entscheidet sich in der Rezeption dieser Befunde. In Anlehnung an Tenschers (2003) Forderung nach Politikvermittlungsexperten wäre eine neue Profession von permanent agierenden Wissenschaftsvermittlungsexpert:innen wünschenswert.

Referenzen: 
Jandura, O., & Weinmann, C. (2023). Greater confusion in the voter market in Germany: Differences between subjective and value-based categorization on the left-right axis. In M. Ziegele, A. S. Kümpel, T. Dienlin, & Deutsche Gesellschaft für Publizistikund Kommunikationswissenschaft (Eds.), Beiträge zur Jahrestagung der Fachgruppe Rezeptions- und Wirkungsforschung 2022 (pp. 75–92). SSOAR – GESIS Leibniz Institute for the Social Sciences. https://doi.org/10.21241/ssoar.96575 

Tenscher, J. (2003). Professionalisierung der Politikvermittlung? VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978- 3-322-80484-6 

Wagner, A. (2023). Lechts oder rinks? Das Bündnis Sahra Wagenknecht im Parteienwettbewerb. FES impuls. Friedrich- Ebert-Stiftung.