Lassen Sie mich durch, ich bin Citizen Scientist!
Holger Wormer, Technische Universität Dortmund
„Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!“ – In überfüllten Sälen oder langen Warteschlangen verfügt dieser Satz längst über den Status eines Running Gags. Passend dazu hat der British Council vor etlichen Jahren Sticker mit dem Slogan „Trust me, I am a scientist“ herausgegeben, wobei der Text eine selbstironische Karikatur einer reichlich verschrobenen Forscherperson umrahmte. Warum man ausgerechnet solchen Personen glauben, bzw. warum das von ihnen produzierte Wissen zumindest im Grundsatz vertrauenswürdiger sein sollte als andere Wissensformen, wurde in der Vergangenheit allerdings selten ausführlich begründet. Wissenschaftliches Ethos, wissenschaftliche Prozesse, Standards, Methoden und deren Grenzen blieben hinter der öffentlichen Kommunikation von bloßen Forschungsergebnissen meist zurück. Ähnliches gilt für den Journalismus: Recherchestandards, Vier-Augen-Prinzip, Factchecking oder Schlussredaktion – wie journalistisches Wissen idealerweise entsteht und geprüft wird, wurde kaum kommuniziert; auch hier begnügte man sich eher mit einer Haltung der Art „Glauben Sie mir, ich bin der SPIEGEL (oder die FAZ oder die ZEIT)!“.
Citizen Science-Projekte in den Kommunikationswissenschaften und speziell der Journalismusforschung könnten hier in beiden Feldern neue Perspektiven eröffnen und die „science und media literacy“ gleichzeitig verbessern helfen. Allerdings haben viele bürgerwissenschaftliche Projekte in der Vergangenheit meist mehr versprochen als gehalten. Nicht selten war der wissenschaftliche Ertrag sehr begrenzt oder die Bürgerbeteiligung hatte in Wahrheit eher Feigenblattcharakter, die eine leichtere Drittmittelfinanzierung ermöglichte. Themen aus den Kommunikationswissenschaften im engeren Sinne spielten zudem kaum eine Rolle gegenüber dominierenden bürgerwissenschaftlichen Disziplinen wie Umwelt und Biologie, deren klassische Bird watching-Projekte bis heute vielen als charakteristisch für das Feld gelten. Inzwischen wurde der Wert eines „Crowdsourcing“ in Medien zumindest als datenjournalistische Recherchemethode ebenso wie als Mittel zur Leser-Blatt- bzw. Markenbindung erkannt.
Wer Bürgerbeteiligung jedoch allein als Nutzung von externen Datenjägern und -sammlern betrachtet (in einschlägigen Typologien „contributory projects“ genannt), nutzt nur einen Teil des Potenzials. Um wirklich Verständnis für die Funktionsweisen von Forschung und das Wesen von Wissenschaft zu vermitteln, empfehlen sich vielmehr „co-created projects“: Bei diesem Typus von Projekten arbeiten Bürgerinnen und Bürger bereits an der Operationalisierung von Forschungsfragen mit – was bereits deutlich mehr geeignet ist, um Verständnis für Forschungsprozesse (oder eben die Arbeitsprinzipien journalistischer Medien) zu wecken.
Gleichwohl sind gerade solche stark involvierenden Citizen Science-Projekte aufwändig und anspruchsvoll. Keinesfalls sollten sie sich zur einfachen Maßnahme von Wissenschafts- PR degradieren lassen, wie dies jüngste Bundestagsanträge zur Förderung von Wissenschaftskommunikation befürchten lassen. Bereits vor einigen Jahren haben wir in einem eigenen Projekt (medien-doktor citizen) gezeigt, wie sich Citizen Science in einer besonders intensiven Form der Rezipientenforschung einsetzen lässt, wobei das Publikum nicht bloß beobachtetes Objekt, sondern gleichzeitig auch beteiligtes Subjekt sein kann. Bei entsprechenden Multiplikatoren eingesetzt, können solche Projekte zumindest ein Baustein sein, um Urteils- und Kritikfähigkeit gegenüber Informationen aus Forschung und Medien zu stärken und gleichzeitig Verständnis für deren Arbeitsweise zu stärken – glauben Sie mir…!