Kommunikation in aktuellen Wahlkämpfen: Sensibler messen und vermitteln
Marlis Prinzing, Hochschule Macromedia Köln
Aus den Wahlen im Superwahljahr 2024 insbesondere in Deutschland, Europa und in den USA lässt sich viel lernen: Über Medien und über Politik, über einen sich zunehmend bis hin zu Tätlichkeiten radikalisierenden Diskurs gerade auch im Kontext von Wahlkämpfen, über Beobachtungen zu gesellschaftlicher Spaltung sowie über Forschung beziehungsweise Forschungslücken insbesondere rund um Wahlen und die Einordnung politischer Orientierungen in der Gesellschaft. Erste Befunde etwa nach der US-Präsidentschaftswahl bestärken darin, dass viel zu tun ist.
Paul Farhi und John Volk (The State of Local News Project) wiesen beispielsweise auf Folgendes hin: In den Nachrichtenwüsten, also in Gegenden, in denen es keine professionelle Quelle für lokale Nachrichten gibt, erzielte der republikanische Kandidat Donald Trump über seine demokratische Rivalin Kamala Harris einen erdrutschartigen Sieg: Er gewann 91 Prozent dieser Landkreise. Insgesamt war lokal sein Vorsprung bei 54 Prozentpunkten, landesweit betrug er knapp 1,5 Prozent.
Trumps Dominanz in den Nachrichtenwüsten impliziert eine Korrelation, keine Kausalbeziehungen: Menschen haben nicht unbedingt für Trump gestimmt, weil sie keine lokalen Nachrichten erhalten haben. Eine wirklich schlüssige und belegte Erklärung für die Dimension und Deutlichkeit liegt bislang nicht vor. Schlechte Bildung oder eine zunehmende Polarisierung könnten Gründe sein. Oder auch, dass Menschen, die sich über das Geschehen vor Ort nur mit Mühe informieren können und auch deshalb auf nationale Berichterstattung stark angewiesen sind, dort wenig über lokale Gegebenheiten etwa bezogen auf die lokale Wirtschaft und den Arbeitsmarkt finden und deshalb nicht differenziert wahrnehmen, welche Kandidat:innen ihnen für genau diese Probleme Lösungen vorschlagen.
Zunehmende Nachrichtensteppen im Lokaljournalismus und daraus möglicherweise entstehende Zeitungswüsten beschäftigen auch Hans-Christian Wellbrock und Sabrina Maaß. Ihr Augenmerk richtet sich auf Deutschland, wo sie in einer aktuellen Studie das Ausmaß der Verbreitung dieses Phänomens dokumentieren. Praktische Anstrengungen sowie Forschungsinitiativen seien nötig, um die Entwicklung aufzuhalten und auch um sie besser verstehen zu können. Der vorliegende Wüstenradar sei methodisch verbesserungsfähig. Die Analyse sei auf die Lokalberichterstattung in Rundfunk und bei reinen Digitalpublishern auszuweiten. Manche Teilaspekte des Themas müssten näher auf Chancen und Risiken für die Vielfalt hin untersucht und naheliegende Einflussfaktoren (Einkommen, Bildungsniveau etc.) müssten quantifiziert werden.
Hinzu kommen eher generelle Beobachtungen, etwa, dass in Deutschland die dualistische Argumentationsweise aus den USA zunehmend Raum erhält, die in rechts oder links einteilt, etwa: Rechte sind gegen Migration, Linke dafür, Rechte sind gegen mehr Klimaschutz, Linke dafür. Die Idee zu diesem Aviso-Schwerpunkt lag auf der Hand. Wichtig war auch ein Linked-In-Post von Carina Weinmann. In den letzten Jahren, so schrieb sie, war häufig von einem Rechtsruck in der Gesellschaft die Rede, was jedoch von repräsentativen Umfragedaten nicht belegt werde. Das werfe die Frage auf, ob es sich bei dem behaupteten gesellschaftlichen Rechtsruck um ein soziologisches Wahrnehmungsphänomen handle oder ob Zweifel an der Validität der politischen Selbstpositionierung auf der Links-Rechts-Skala angebracht seien. Sie verwies auf eine Studie, für die sie sich gemeinsam mit Olaf Jandura vor allem mit letzterer Frage beschäftigt hatte. Beide wollen sensibilisieren für den Unterschied zwischen subjektiver Wahrnehmung und wertebasierter Verortung auf eben dieser Links-Rechts-Skala.
Der Post führte zur Bitte, zentrale Befunde der Studie im Transfer auf die aktuellen Landtagswahlen für einen Debattenschwerpunkt in diesem Aviso-Heft aufzubereiten, sowie Antworten zu geben auf zwei Fragen: Was müsste getan werden, damit von diesen spannenden Befunden die „richtigen Leute“ auch außerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft erfahren? Inwiefern müssten sich generell wissenschaftliche Arbeitsroutinen verändern oder auffächern, um diesen Transfer zu erleichtern? Beide eröffnen den Reigen der Standpunkte mit einem Beitrag, der genau das leistet. Sie stellen ihn unter die Überschrift „Neue Unübersichtlichkeiten“.
Andreas Schulz-Tomancok lenkt den Blick auf einen daran anschließenden, sich gerade auch im Superwahljahr 2024 als sehr relevant erweisenden wunden Punkt: Sozialwissenschaftliche Analysen zu Einstellung, Meinungen und (Wahl-) Verhalten, die oft auch auf „unterkomplexen Messinstrumenten“ fußen. In seinem Standpunkt bezieht er sich unter anderem auf die Arbeit von Weinmann und Jandura, um darauf hinzuweisen, dass auch Politik und Teile der Medien besser hinterfragen sollten, wie stabil die Belege wirklich sind, auf die sich affektive politische „Gewissheiten“ stützen.
Jonas Fegert nimmt die erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten als Aufhänger, um auf die Bedeutsamkeit des Zusammenspiels zwischen Forschung und Journalismus hinzuweisen. Er beschreibt dies exemplarisch an der dazu nötigen Brücke zwischen wissenschaftlicher Datenerhebung und der Datenvisualisierung, also der Vermittlung durch Journalist:innen. Fegerts Standpunktbeitrag mündet in ein Verständnis von digitaler Demokratie, bei dem Forschung auch Menschen „aktiv einlädt, eigene Ideen einzubringen“, um „Wissenschaftskommunikation [zu] demokratisieren und das Vertrauen in die Forschung nachhaltig [zu] stärken“.
Diese Verschränkung verknüpfen Philip Thomeczek und Sören Müller-Hansen. Der erstgenannte argumentiert aus Wissenschaftler-Perspektive, der zweitgenannte aus Journalismus-Perspektive. Beide lassen in ihre Standpunkte auch Erfahrungen aus gemeinsamen Projekten einfließen. Thomeczek wirbt – ähnlich wie Fegert – dafür, gemeinsam Projekte zu entwickeln, woraus „Daten hervorgehen können, die dann von beiden Seiten weitergenutzt werden können“. Müller-Hansen macht unter anderem klar, dass solche Projekte zwingend von etwas profitieren, das auf beiden Seiten knapp ist: Zeit.
Den Reigen der Standpunkte beschließt Helge Fuhst. Er ist seit Oktober 2019 Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell, der ARD-Gemeinschaftsredaktion für Tagesschau und Tagesthemen, Tagesthemenmoderator – und er ist Politikwissenschaftler. Fuhst verweist auch darauf, dass abseits der aktuellen Wahlberichterstattung durchaus auf wissenschaftliche Befunde geblickt wird, aber eher dann, wenn Forschende um Aufmerksamkeit trommeln, also gut hörbar vermitteln, welche relevanten Erkenntnisse sie herausgefunden haben.
Referenzen:
Linked-In-Post: https://www.linkedin.com/search/results/all/?fetchDeterministicClustersOnly=true&heroEntityKey=urn%3Ali%3Afsd_profile%3AACoAAB_DX7gBAcIBqTfUe672E8kj_NnHcoE8nFE&keywords=dr.%20carina%20weinmann&origin=RICH_QUERY_SUGGESTION&position=0&searchId=8ec849fd-ad09-4be6-ab33-57bea5b5b731&sid=cPC&spellCorrectionEnabled=false
Farhi, P. & Volk, J. (2024). The state of Local News Project. In news deserts, Trump won in a landslide. 05-12-2024 https://localnewsinitiative.northwestern.edu/posts/2024/12/05/trump-wins-news-deserts-in-landslide/
Wellbrock, H. & Maaß, S. (2024). Zur Verbreitung des Lokaljournalismus in Deutschland und dessen Effekt auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Hrsg. von der Hamburg Media School. https://www.wuestenradar.de/wp-content/uploads/ sites/18/2024/11/Wuestenradar-2024-web.pdf