Gute Wissenschaft verlangt bezogen auf Befristungen einen differenzierten Blick

  Lars Rinsdorf
  (Vorsitzender der DGPuK; Hochschule der Medien, Stuttgart)
  (für den Vorstand)

 

 

Das Thema Befristungen treibt derzeit viele Akteur*innen an Hochschulen und Universitäten um – vom Postdoc, der sich Planungssicherheit wünscht, bis zur Uni-Kanzlerin, die sich um die Flexibilität ihrer Budgetplanung sorgt. Für eine wissenschaftliche Fachgesellschaft wie die DGPuK ist das Thema vor allem aus einer Perspektive relevant: Wie sichern und fördern wir gute Kommunikationswissenschaft – und wie hängen befristete Verträge damit zusammen? Wer sich aus diesem Blickwinkel mit dem Thema Befristungen beschäftigt, ist gut beraten, eine differenzierte Sichtweise auf das Thema einzunehmen.


Dies bedeutet zunächst, zwischen unterschiedlichen Karrierephasen zu unterscheiden. Niemand dürfte ernsthaft bezweifeln, dass die Promotionszeit eine Qualifizierungsphase mit einem klaren Etappenziel ist, nach dem jede*r frisch promovierte Kommunikationswissenschaftler*in entscheiden können sollte, ob sie oder er die berufliche Zukunft innerhalb oder außerhalb des akademischen Betriebs sieht. Zeitverträge sichern in dieser Phase Instituten und Promovierenden die nötige Flexibilität. In der Postdoc-Phase sieht die Lage anders aus: Hier prägen junge Wissenschaftler*innen inhaltliche Profile aus und bauen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten aus, die dezidiert auf das Wissenschaftssystem ausgerichtet sind. Und deshalb ist es hier sinnvoll, über den Mix aus befristeten und unbefristeten Optionen zu diskutieren.


Das Wort Mix ist bewusst gewählt, denn befristete oder unbefristete Verträge sind nicht exklusiv die beste Lösung – und zwar weder für die jungen Wissenschaftler*innen noch für die Institute, um kluge und motivierte Köpfe so in unsere Institute und Studiengänge einzubinden, dass sie Forschung und Lehre in optimaler Weise bereichern. Für den einen mag zum Beispiel eine Junior-Professur ohne Tenure-Track eine unsichere Perspektive in der Familiengründungsphase sein, für die andere eine einmalige Chance, sich unter hohen Freiheitsgraden in einem Forschungsfeld zu profilieren. Genauso wird es an Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen Positionen jenseits von Professuren geben, in denen langjährige Mitarbeiter*innen Erfahrungsvorteile einbringen können, etwa im Wissenschafts- und Studiengangmanagement. Aber daneben besteht auch die Notwendigkeit, befristete Verträge abzuschließen, um in zeitlich begrenzten Drittmittelprojekten relevante Erkenntnisse zu aktuellen Forschungsfeldern zu gewinnen.


An diesem Beispiel zeigt sich, wie eng das Thema Befristung mit Strategien der Forschungsförderung verknüpft ist. Wer sich mehr Finanzierung unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse wünscht, kommt nicht umhin, im politischen Raum darauf zu drängen, dass die Grundfinanzierung von Universitäten im Vergleich zur Projektförderung (wieder mehr) an Bedeutung gewinnt und deshalb Mittel z.B. für DFG-, BMBF-, EU-, Exzellenz- oder andere Förderinstitutionen und -programme reduziert werden. Dies führt zur weitergehenden Frage, inwieweit die Wettbewerbsidee des New Public Management guter Wissenschaft tatsächlich zuträglich ist. Aber das ist das sprichwörtliche Bohren dicker Bretter, das sich erst langfristig auszahlt. Wer mittelfristig für die aktuelle Kohorte junger Wissenschaftler*innen etwas ändern möchte, wird sich darauf nicht beschränken können.


Die gute Nachricht hier ist: Es gibt Dynamiken, die man aufgreifen kann. Die Hochschulpolitik ist für die Problematik der Befristungen nicht blind. Sie sieht durchaus, dass unsichere Beschäftigungsperspektiven in einem globalen Wettbewerb um kluge Köpfe in einem internationalisierten Wissenschaftsbetrieb für den Wissenschaftsstandort Deutschland zum Nachteil werden können. Deshalb gibt es die Tenure-Track-Programme, und deshalb ist auch im neuen Bund-Länder-Hochschulfinanzierungsvertrag der Wille erkennbar, mehr Ressourcen für unbefristete Stellen in Studium und Lehre bereit zu stellen. Für die Institute und Studiengänge ergeben sich hieraus Chancen, die Rahmenbedingungen für gute Kommunikationswissenschaft zu verbessern: Einmal, indem sie sich an diesen Programmen mit klugen Vorschlägen beteiligen und so allgemeine Ressourcen für die kommunikationswissenschaftliche Lehre und Forschung nutzbar machen. Darüber hinaus, indem sie in ihren Universitäten und Hochschulen fachübergreifende Koalitionen schmieden gegen die im Hochschulmanagement mehr oder weniger stark ausgeprägte Neigung, Mittel zur Verstetigung von Stellen bevorzugt in verwaltungsnahen Bereichen anzusiedeln. Und nicht zuletzt dadurch, dass sie an ihren Universitäten auf eine Personalentwicklungsstrategie drängen, die ihren Namen verdient. 


Was kann eine solche Strategie beinhalten? Aus Sicht einer guten wissenschaftlichen Praxis vor allem vier Faktoren. Erstens Transparenz: Wer sich nach dem Masterabschluss für eine Promotion entscheidet, sollte möglichst präzise wissen, welche Chancen, aber eben auch welche Risiken mit einer akademischen Karriere verbunden sind. Das gilt erst recht für junge Kolleg*innen, die sich als Postdocs allmählich auf das akademische Feld fokussieren. Zweitens Qualifizierung, und zwar eben nicht nur im Kern von Forschung und Lehre bezogen auf Methoden, Didaktik, Publikations- oder Internationalisierungsstrategien, sondern auch im Hinblick auf Selbstmanagement und Karriereplanung, um die eigene Zukunft optional auch außerhalb der Universität aktiv gestalten zu können. Drittens gehört dazu Mentoring, und damit die Chance, wichtige Karriereentscheidungen auch mit erfahrenen Kolleg*innen jenseits des unmittelbaren Arbeitsumfelds besprechen zu können. Und viertens Multioptionalität im Sinne des systematischen Aufbaus bzw. Erhalts von Karriereoptionen jenseits des Pfades, der vielleicht einmal auf eine Professur zuläuft.


Die Vielfalt von Optionen ermöglicht es jungen Wissenschafter*innen, ihre Karriere aktiv weiter zu entwickeln. Und genau so lassen sich in einem härteren Wettbewerb um kluge Köpfe talentierte junge Wissenschaftler*innen zumindest für einen Teil ihres Berufsweges in der Wissenschaft halten, auch wenn man selbstverständlich nicht allen von ihnen eine Perspektive auf eine Professur bieten kann. Multioptionalität hat dabei zwei Dimensionen: In der Forschungspraxis muss zunächst Raum sein, diese Optionen auszubauen, etwa durch Weiterbildungen, Praxisphasen oder stärker anwendungsorientierte Projekte. Das geht natürlich auf Kosten des wissenschaftlichen Outputs und müsste dementsprechend auch eine Neujustierung von Auswahlkriterien in Bewerbungs- und Berufungsverfahren nach sich ziehen. Multioptionalität ist aber auch eine Frage des Mindsets. Wenn die Qualität des wissenschaftlichen Ertrags in unserem Fach extrem davon profitiert, dass Kommissionen in Berufungsverfahren aus einem vielfältigen Feld von Bewerber*innen das „perfect match“ identifizieren, tun wir uns keinen Gefallen, jeden Karrierepfad jenseits einer Universitätsprofessur als „Plan B“ zu bezeichnen – und zwar unabhängig davon, ob man am Anfang oder am Ende seiner wissenschaftlichen Karriere steht.


Zu einem differenzierten Blick auf Befristungen gehört auch eine notwendige Portion Realismus. Die Kommunikationswissenschaft profitiert davon, dass sich möglichst viele junge Wissenschaftler*innen um ein breites Spektrum neuer Themen kümmern. Das ist der Humus, in dem neue Erkenntnisse wachsen. Es ist zumindest mittelfristig nicht sinnvoll zu erwarten, dass die Wissenschaftspolitik ein budgetäres Füllhorn über unserem Fach öffnet. Wer mehr entfristete Stellen fordert, wird unter diesen Bedingungen den Karriere-Trichter früher verengen müssen. Davon würde die jeweils aktuelle Kohorte junger Wissenschaftler*innen profitieren – allerdings auf Kosten der nachfolgenden Generationen, deren Einstiegsoptionen geschmälert würden.


Es ist zudem wichtig, zwischen Befristungen im Besonderen und Arbeitsbedingungen im Allgemeinen zu unterscheiden, denn wir sprechen im akademischen Mittelbau einerseits von gut bezahlten Stellen mit im Vergleich zu vielen Berufsfeldern hohen Freiheitsgraden, andererseits mitunter auch von halben Stellen, die weit mehr als 20 Stunden pro Woche in Projekte, Lehre und Verwaltung investieren, also nicht für das entlohnt werden, was sie leisten, und am Institut zu wenig Unterstützung erfahren. 


Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen: Mit strengeren Auflagen, ob nun bei Befristungen, Familienförderung oder anderen Aspekten, kommen große Organisationen besser zurecht als kleine, weil sie Größeneffekte ausnutzen können. Initiativen, die auf mehr Entfristung setzen, fordern also tendenziell kleine Institute stärker heraus als große. Ob das im Sinne guter Kommunikationswissenschaft ist, wäre wenigstens einmal empirisch zu überprüfen.


Spätestens an dieser Stelle werden die Implikationen für die DGPuK als wissenschaftliche Fachgesellschaft deutlich: Hochschulpolitisch können wir zum Beispiel nur die Forderung nachdrücklich unterstützen, die etwa die Hochschulrektorenkonferenz kürzlich erhoben hat, nämlich alle politischen Initiativen zu verlässlichen Karrierewegen in der Wissenschaft systematisch wissenschaftlich zu begleiten, um evidenzbasiert entscheiden zu können. Es sollte nicht wie in anderen Politikfeldern erst das Bundesverfassungsgericht die Politik auf die Sinnhaftigkeit eines solchen Ansinnens hinweisen müssen. Mit Blick auf die allgemeinen Rahmenbedingungen der Hochschulfinanzierung halten wir die Kooperation mit anderen gesellschaftswissenschaftlichen Fachgesellschaften für zielführender als Einzelaktionen, auch wenn Abstimmungsprozesse etwas mehr Geduld erfordern.


Fachintern sehen wir es als Vorstand als unsere Aufgabe an, eine Diskussion über das Thema Befristungen anzustoßen, die alle Statusgruppen übergreift und die um eine zentrale Frage kreist: Wie können wir Beschäftigungsverhältnisse im wissenschaftlichen Mittelbau so gestalten, dass es für alle Beteiligten sinnvoll und damit letztlich für den wissenschaftlichen Ertrag unseres Handels förderlich ist? Dabei würde es sich lohnen, auch über neue Felder nachzudenken, in denen die langfristige Bindung von Spezialist*innen für große Institute sehr sinnvoll sein könnte, zum Beispiel in Querschnittsfunktionen wie Open Access, Forschungsdatenmanagement oder der Entwicklung von Forschungssoftware. Wir können und wollen hier Formate schaffen, um gemeinsame Positionen zu erarbeiten und Erfahrungen auszutauschen – von Sonderfenstern bis hin zu Arbeitsgruppen, in denen junge Wissenschaftler*innen ebenso vertreten sind wie etablierte Kolleg*innen an großen und kleinen Instituten. Das Thema ist dringlich und unsere Mitglieder sind kreativ genug, dass nicht Jahre ins Land gehen müssen, um hier zu einem belastbaren Positionspapier zu kommen, auf das man etwa in der Auseinandersetzung mit dem Hochschulmanagement zurückgreifen kann.


Diese Diskussion ist eingebettet in die vielen Initiativen, mit denen unsere Fachgesellschaft den Nachwuchs besonders fördert: Angefangen von einer vielfältigen Tagungslandschaft und einer soliden Publikationsinfrastruktur, die es gerade jungen Wissenschaftler*innen ermöglicht, Befunde zu publizieren und ein professionelles Netzwerk aufzubauen, über Mentoring-Programme, Sondermittel für Nachwuchsaktivitäten der Fachgruppen bis hin zur umfangreichen Unterstützung der Nachwuchstage, die sich zu einem wertvollen Forum für Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch entwickelt haben. Nicht zuletzt testen wir auch mit Blick auf die Multioptionalität neue Formate, wie etwa jüngst einen Cross-Industry-Workshop in Zusammenarbeit mit der European Space Agency und der Schader-Stiftung. Wer hier kreative Vorschläge macht, wie diese Initiativen weiterentwickelt werden können, wird bei uns auf offene Ohren stoßen. Und wo wir schon bei den Ohren sind: Bayreuth verbinden wir jetzt und in Zukunft lieber mit hoher Opernkunst.