Digitale Demokratie: Über neue Forschungsansätze der Wirtschaftsinformatik und journalistischen Kooperationen

Jonas Fegert (Forschungszentrum Informatik, Berlin)

Die erneute Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten markiert einen Wendepunkt: Nach dem Sturm auf das Kapitol 2021, der bereits das Gewaltpotenzial und das erodierte Vertrauen in die demokratischen Institutionen der MAGA-Wählerbasis aufzeigte, stand dieser Wahlkampf ganz im Zeichen einer bewussten Provokation des Bruchs mit demokratischen Institutionen. Diesmal spielte jemand eine entscheidende Rolle, der nicht nur als Meinungsmacher und Spender in den Wahlkampf eingriff, sondern gezielt seine Plattform nutzte und deren Mechanismen so formte, dass sie zu Werkzeugen für die Verbreitung von manipulierten Informationen und die Mobilisierung radikaler Kräfte wurde – die Rede ist von Elon Musk und dem von ihm umgestaltete Twitter/ X. Hierbei ist einerseits die algorithmische Verstärkung bestimmter Accounts durch das Abonnementmodell zu nennen, andererseits die fehlende Inhaltsmoderation. Hinzu kommt – wie kürzlich nachgewiesen werden konnte – eine Veränderung der algorithmischen Priorisierung zugunsten Musks im Vorfeld der US-Wahl (Graham und Andrejevic, 2024). 

Die Frage, welchen Einfluss Online-Social-Networks (OSN) inklusive Messenger-Dienste auf die Demokratie haben, sollte jedoch nicht nur im Nachhinein bspw. anhand von Diskursanalysen untersucht werden. Vielmehr müssen Gefahren dort wahrgenommen werden, wo sie entstehen. Dies ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns in einem neuen Forschungsbereich der Wirtschaftsinformatik widmen: der Forschung zur Digitalen Demokratie. Mit unserer Forschungsgruppe am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem House of Participation (HoP) am FZI Forschungszentrum Informatik haben wir einen einzigartigen Hub geschaffen mit dem Ziel, innovative Ansätze zu entwickeln, um die Resilienz von Demokratien zu stärken. Unsere Expertise liegt in der Analyse großer Datenmengen, im Verständnis von Plattformmechanismen und ihrer Wirkung und in der Entwicklung und der Gestaltung von digitalen Partizipationsplattformen (Weinhardt et al., 2024). 

Das Projekt „Social Sentiment in Times of Crises“ (SOSEC), das seit 2022 durch eine Förderung der Alfred Landecker Foundation umgesetzt wird, entstand als Teil des HoP. Die in der Aviso-Ausgabe 78 / 2024 von Christian Strippel angeregte Entwicklung von Forschungsdateninfrastrukturen verfolgen wir systematisch in SOSEC. Ziel des Projekts ist es, gesellschaftliche krisenbezogene Stimmungen in Deutschland und den USA zu messen und ihre Ursachen zu analysieren. Seit 2022 erheben wir wöchentlich bzw. zweiwöchentlich Daten aus repräsentativen Panels und gleichen sie mit Informationen aus OSN sowie relevanten Nachrichtenevents ab. Innerhalb der ersten zwei Jahre wurden über 26 Millionen Datenpunkte gesammelt. 

Besonders spannend ist die Zusammenarbeit mit dem Tagesspiegel Innovation Lab, das unsere Daten mehrfach genutzt und visualisiert hat – etwa zur Dynamik des Wahlkampfs zwischen Trump und Harris 2024 oder dem Kontrast zwischen gefühlter und tatsächlicher Polarisierung in den USA. So konnten wir zeigen, dass die US-Bevölkerung die Demokraten weniger links und die Republikaner weniger rechts wahrnimmt, während sie sich selbst politisch weiterhin in der Mitte verortet. Solche Erkenntnisse sind nur durch durchdachte Visualisierungen verständlich. Die Kooperation mit Journalist:innen ist bereichernd, aber zeitweise auch herausfordernd, da unterschiedliche Fachsprachen und Prioritäten Geduld und Offenheit in der Absprache erfordern. Auf der SciCAR-Konferenz im September 2024 in Dortmund habe ich aber vorgestellt, wie interaktive Karten und Analysen Forschung zugänglicher machen können und welche Bereicherung sie damit darstellen. 

Die nächste große Herausforderung sehe ich darin, gemeinsam mit Journalist:innen und deren Leser:innenschaft neue Formen interaktiver Mitforschung zu entwickeln. In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen von klassischen Medien abwenden und Wissenschaft oft als elitär wahrgenommen wird, rücken Fragen nach Zugänglichkeit und Partizipation verstärkt in den Fokus. Besonders reizvoll wäre es, interaktive journalistische Inhalte mit nutzer:innenzentrierten Designansätzen zu verbinden, um eine echte Beteiligung zu ermöglichen. Wenn Forschung nicht nur verständlicher wird, sondern Menschen aktiv einlädt, eigene Ideen einzubringen, könnte dies Wissenschaftskommunikation demokratisieren und das Vertrauen in Forschung nachhaltig stärken.

Referenzen: 
Lehmann, H., Reitzer, P.: Wiedervereinigte Staaten von Amerika: Was spaltet die amerikanische Gesellschaft im Wahlkampf?, https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/wiedervereinte-staaten- von-amerika-harris-gegen-trump-us-wahl-2024/, last accessed 2024/11/18. 

Weinhardt, C., Fegert, J., Hinz, O., van der Aalst, W.M.P.: Digital Democracy: A Wake-Up Call. Bus Inf Syst Eng. 66, 127–134 (2024). https://doi.org/10.1007/s12599-024-00862-x

Graham, T., Andrejevic, M.: A computational analysis of potential algorithmic bias on platform X during the 2024 US election. (2024).